„Nur durch die Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen kann eine Führungskraft wachsen“
Onpulson im Gespräch mit Christina Becker, Mentorin für Führungskräfte über feste Strukturen, die Mitarbeiter von dem Vorgesetzten zur Orientierung benötigen und der Notwendigkeit der Führungskraft sich mit der eigenen Biographie auseinanderzusetzen. Dies ist mit unter die Basis, um selbstbewusst und souverän aufzutreten und zu handeln.
Onpulson: Frau Becker, Sie sind Mentorin für Führungskräfte, Autorin und Speakerin und betreiben das Projekt www.schlussmitderunsicherheit.de. Da wären wir auch schon gleich beim Thema: Sie legen großen Wert darauf, klare Aussagen zu treffen und diese selbstbewusst stehen zu lassen. Warum ist das in einer Führungsposition so wichtig?
Christina Becker: Menschen wollen geführt werden, das heißt, Mitarbeiter brauchen Strukturen, die ihnen Sicherheit und Orientierung geben. Eine der zentralen Aufgaben einer Führungskraft ist es, genau diese Strukturen zu schaffen. Wenn es der Führungskraft nicht gelingt, Abläufe, Standards und Regeln klar zu kommunizieren und auf deren Einhaltung zu achten, kann das Team sein volles Potenzial nicht entfalten. Stattdessen breiten sich Unsicherheit und Demotivation aus, was wiederum zu steigenden Krankenständen und höherer Fluktuation führt.
Onpulson: Es heißt oft, dass unnötige Rechtfertigungen die Autorität schwächen. Wie vermeidet man als Führungskraft diese Falle?
Christina Becker: Dafür ist ein gesundes Selbstbewusstsein die wichtigste Basis. Solche Rechtfertigungen entstehen oft dann, wenn man sich unsicher ist, ein schlechtes Gewissen hat oder dem eigenen Urteil und den eigenen Entscheidungen nicht vollständig vertraut. Deshalb empfehle ich jeder Führungskraft zuerst am eigenen Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen zu arbeiten – idealerweise bevor sie die Führungsrolle übernimmt.
Onpulson: Viele Führungskräfte neigen dazu, komplizierte Erklärungen zu geben. Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, es „einfach zu halten“?
Christina Becker: Was ich jetzt sage, mag nicht besonders schön klingen, ist aber eine Tatsache: Die Führungskraft ist nicht der Maßstab für das Team. Abläufe, Strukturen und Lösungen erscheinen ihr oft selbstverständlich, da sie sich intensiv damit beschäftigt. Und so wird schnell davon ausgegangen, dass das Team automatisch versteht, was gemeint ist. Aber das ist häufig nicht der Fall. Dann wundert oder ärgert man sich, dass nicht das umgesetzt wird, was doch vermeintlich klar erklärt wurde, und Konflikte und Stress sind vorprogrammiert. Deshalb ist es wichtig, das Team genau zu beobachten und aktiv nachzufragen, ob man sich verständlich ausgedrückt hat. Weniger ist hier oft mehr: Klare Aussage, Punkt, Stille – um dem Team Raum zum Nach- und Mitdenken zu geben.
Onpulson: Wie reagiert man am besten als Führungskraft, wenn jemand eine seiner Entscheidungen hinterfragt, ohne dass dabei seine Autorität untergraben wird?
Christina Becker: Ich sage immer etwas salopp: „Als Führungskraft darf man sich auch mal einen Zacken aus der Krone brechen!“ Wenn ich ein gesundes Selbstbewusstsein für meine Führungsrolle mitbringe, dann brauche ich keine Angst davor zu haben, dass meine Autorität untergraben wird. Führungskräfte sollten sich selbst nicht zu wichtig nehmen und Fragen, Anregungen sowie konstruktive Kritik als Chance zur Weiterentwicklung dankend annehmen. Schließlich wünschen sich die meisten Führungskräfte ein Team, das eigenständig denkt und arbeitet – und dafür muss Raum gegeben werden, ohne Angst zu haben, dass am eigenen Stuhl gesägt wird.
Werden Entscheidungen jedoch ständig hinterfragt, ist es wichtig zu reflektieren, ob die Kommunikation klar genug war. Handelt es sich immer um denselben Mitarbeiter, der die Entscheidung anzweifelt, sollte die Beziehungsebene angeschaut werden. Oft ist ständiges Hinterfragen ein Ausdruck von Widerstand – und das hat immer mit der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter zu tun.
Onpulson: Was würden Sie anderen Führungskräften raten, um ihre Kommunikationskompetenz zu verbessern und mehr Respekt im Team zu erlangen?
Christina Becker: 1. Auf die Körperhaltung achten: Passt die Körpersprache und die Stimmmelodie zu dem, was vermittelt werden soll? Wenn nicht, kann dies schnell zu einem Gefühl der Unauthentizität führen, und das Team nimmt die Führungskraft möglicherweise nicht ernst. 2. Konjunktive und Weichmacher aus der Sprache streichen: Je unsicherer man sich in der Führungsrolle fühlt, desto eher wird auf solche Formulierungen zurückgegriffen. Anstelle von „Ich würde mich sehr freuen, wenn die Unterlagen bis Montag eingereicht werden könnten“ klingt es viel souveräner, einfach zu sagen: „Bitte die Unterlagen bis Montag einreichen. Danke!“ 3. Positive und bestärkende Kommunikation entwickeln: In Situationen, in denen sich andere nicht so verhalten, wie erwartet, neigen viele dazu, bewertend zu kommunizieren. Aussagen wie „Das Ergebnis ist nicht gut“ oder „Immer der letzte, der die Unterlagen abgibt“ wirken vorwurfsvoll und führen dazu, dass sich der andere verteidigen muss. Das führt unweigerlich zu Konflikten und Demotivation. Besser wäre es, zu sagen: „Lassen Sie uns gemeinsam Lösungen entwickeln, um das Ergebnis zu optimieren“, oder „Was brauchen Sie, um die Unterlagen rechtzeitig abzugeben?“ Diese Aussagen vermitteln Wertschätzung und Unterstützung.
Onpulson: In der Praxis kommt es häufig vor, dass bestimmte Mitarbeiter bei Führungskräften Unsicherheiten oder Spannungen erzeugen? Woran liegt das?
Christina Becker: Das liegt an den abgespeicherten Mustern, die in der Kindheit erlernt wurden. Wenn diese Muster unbewusst bleiben, beeinflussen sie das Verhalten bis heute und lassen einen oft fremdgesteuert handeln. Ein Beispiel: Es gibt viele Führungskräfte, die Schwierigkeiten mit dominanten Mitarbeitenden haben. Diese Führungskräfte haben in ihrer Kindheit häufig Erfahrungen mit Dominanz gemacht. Wer als Kind „erlernt“ hat, sich zu ducken, ruhig zu sein und keinen Widerstand zu leisten, wenn ein dominantes Elternteil etwas sagt oder tut, wird sich automatisch ebenso verhalten, wenn jemand vor ihnen sitzt, der sich vermeintlich wie Mama oder Papa verhält.
In solchen Momenten wird dieser Mitarbeiter „schuld“ daran sein, dass man sich schlecht fühlt, doch eigentlich hat er lediglich einen emotionalen Knopf gedrückt. Wer in der Kindheit gelernt hat, bloß nicht unangenehm aufzufallen, um negative Beurteilungen durch Nachbarn zu vermeiden, wird als Führungskraft ständig an sich selbst zweifeln und sich zurückhalten. Die eigenen Meinungen und Emotionen werden oft für sich behalten, aus Angst, dass andere schlecht über einen denken könnten. Es wird alles unternommen, um dem Team zu gefallen. Das ist Stress pur! In diesem Fall sollte unbedingt Biographiearbeit betrieben werden.
Onpulson: Eine souveräne Führung braucht sicherlich ein stabiles Fundament. Welche Grundvoraussetzungen sollte Ihrer Meinung nach jede Führungskraft mitbringen?
Christina Becker: Eine souveräne Führung erfordert ein stabiles Fundament aus mehreren grundlegenden Voraussetzungen. Zuallererst ist die Freude an der Arbeit mit Menschen entscheidend. Eine Führungskraft sollte motiviert sein, jeden Einzelnen im Team in seiner Entwicklung bestmöglich zu unterstützen und zu fördern. Dies schafft nicht nur eine positive Arbeitsatmosphäre, sondern fördert auch das Vertrauen und die Bindung innerhalb des Teams.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Offenheit zur ständigen Selbstreflexion und Biographiearbeit. Nur durch die Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen, Stärken und Schwächen kann eine Führungskraft wachsen und sich weiterentwickeln. Eine gute Selbstführung ist ebenfalls unerlässlich. Wer sich selbst gut führen kann, hat die Fähigkeit, die eigenen Emotionen, Gedanken und Handlungen zu steuern, was die Grundlage für eine erfolgreiche Führung anderer bildet. Dies beinhaltet auch, Entscheidungen klar zu kommunizieren und die eigene Position zu vertreten, ohne dabei unsicher oder defensiv zu wirken. Das wiederum setzt auch ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein voraus. Und last but not least sollte auch eine gut ausgebaute Resilienz vorhanden sein, um mit Herausforderungen und Stresssituationen angemessen umgehen zu können.
Onpulson: Ihrer Erfahrung nach ist es wichtig, die persönliche Befindlichkeiten von der beruflichen Führungsrolle abzugrenzen. Wie gelingt Führungskräften diese Trennung, ohne dabei ihre Authentizität zu verlieren?
Christina Becker: Hierbei liegt der Fokus auf eine gute Selbstführung, um persönliche Befindlichkeiten von der beruflichen Führungsrolle abzugrenzen. Eine authentische und souveräne Führungskraft ist sich der unbewussten Denk-, Gefühls- und Handlungsmuster bewusst, die sich in herausfordernden Situationen automatisch zeigen. Andernfalls werden persönliche Emotionen in die Führungsrolle mitgenommen, und ein bestimmter „Knopf“ kann gedrückt werden, was zu Verhaltensweisen führt, die in der Kindheit erlernt wurden (siehe Beispiele in Frage 6). Solche Reaktionen sind häufig überemotional, etwa wütend, trotzig oder traurig, und das ist der Führungsrolle absolut nicht angemessen.
Es ist durchaus möglich, dass eine Situation oder eine Person nicht sympathisch ist. Dennoch ist es wichtig, als Führungskraft die Herausforderung souverän anzugehen und jeden Mitarbeiter an dem Punkt abzuholen, an dem er sich befindet. Dies gehört zur Führungsaufgabe, selbst wenn die persönliche Meinung anders aussieht. Deshalb ist es so wichtig, die persönliche Rolle bewusst von der Führungsrolle zu trennen und persönliche Emotionen in einem angemessenen Rahmen einzubringen.
Ein bewährter Tipp für viele Führungskräfte lautet: Vor dem Betreten einer herausfordernden Situation, wie einem Gespräch, sollte ein innerer Dialog geführt werden: „Ich trete jetzt bewusst als souveräne Führungskraft in diese Situation und lasse meine persönlichen Befindlichkeiten vor der Tür! Ich hole sie später wieder ab!“
Bildnachweis: istockphoto.com/Miodrag Kitanovic
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