„In schwierigen Zeiten zeigt sich erst, wie kompetent eine Führungskraft wirklich ist“
Onpulson im Gespräch mit dem Autor und Coach für Führungskräfte, Christian Bernhardt, zum Thema wie Führungskräfte die Wertschätzung der Mitarbeiter in Unternehmen fördern können. Demut, so erläutert er, sei bei Führungskräften eine echte Stärke. Denn: Führungskräfte, die erkennen würden, dass ihr Einfluss auf den Erfolg oft begrenzter sei, als sie meinten, würden sich selbst weniger unter Druck setzen, wenn Herausforderungen auftreten. Dies spürten dann auch wiederum die Mitarbeiter.
Onpulson: Herr Bernhardt, Sie sind Coach für Führungskräfte und betreiben Bernhardt Trainings. Wie kann Ihrer Meinung nach ein Unternehmen die Zusammenarbeit zwischen Abteilungen fördern und das sogenannte Silodenken überwinden?
Christian Bernhardt: Ein Unternehmen kann die Zusammenarbeit zwischen Abteilungen fördern und Silodenken überwinden, indem es gezielte Maßnahmen ergreift, um die Belegschaft näher zusammenzubringen und abteilungsübergreifende Zusammenarbeit zu stärken. Beispiele hierfür sind Jobrotationen oder die Teilnahme einzelner Mitarbeiter an Meetings anderer Abteilungen, bei denen sie relevante Beiträge aus ihrer Perspektive einbringen. Zentral ist dabei das Verständnis, dass Kooperation der Schlüssel zum Erfolg einer Organisation ist. Denn Unternehmen existieren nur, weil die Aufgaben so komplex sind, dass sie nur im Team bewältigt werden können. Gemeinsam stark zu sein, ist keine bloße Redewendung, sondern in unserer zunehmend vernetzten Welt essenziell, um als Organisation leistungsfähig zu bleiben und Resilienz aufzubauen.
Es geht darum, dass jeder Mitarbeiter die Organisation als Ganzes versteht. Ob durch das Hospitieren in anderen Abteilungen, gemeinsame Projekte oder Einführungsveranstaltungen, die ersten Schritte zu einem besseren Verständnis sind vielfältig. Die Art der Maßnahmen hängt stark vom Unternehmen und den jeweiligen Aufgabenbereichen ab. In manchen Fällen helfen regelmäßige Fallbesprechungen, in anderen sorgen informelle Treffen wie ein „Kaffee-Roulette“ für eine stärkere Vernetzung.
Auch die Kommunikation kann gemessen werden – beispielsweise durch Heatmaps, die zeigen, wie Abteilungen miteinander interagieren. Untersuchungen des MIT zeigen, dass eine gleichmäßige Kommunikation zwischen allen Mitarbeitern entscheidend ist, statt auf einzelne, stark vernetzte Personen zu setzen.
Führungskräfte spielen dabei eine zentrale Rolle. Nichts demotiviert Teams mehr als Machtkämpfe und Statusspiele auf Führungsebene, die die Zusammenarbeit behindern. Es ist wichtig, dass die Unternehmensführung frühzeitig eingreift, um solche Konflikte zu unterbinden, bevor wertvolle Mitarbeiter das Unternehmen verlassen.
Onpulson: Welche strukturellen Elemente innerhalb eines Unternehmens sollten besonders untersucht und gegebenenfalls angepasst werden, um Stress und Druck zu minimieren?
Christian Bernhardt: Um Stress und Druck in einem Unternehmen zu reduzieren, sollten bestimmte strukturelle Gegebenheiten genauer betrachtet und gegebenenfalls angepasst werden. Entscheidend ist dabei, wie im Unternehmen Entscheidungen getroffen werden, wie mit Konflikten umgegangen wird und wie Fehler behandelt werden. Traditionelle hierarchische Strukturen neigen dazu, Wettbewerb zu fördern. Höhere Positionen sind oft mit mehr Privilegien und Anerkennung verbunden und sind daher sehr begehrt. Dies kann zu einem Konkurrenzdenken führen, das der Zusammenarbeit im Team entgegenwirkt.
Eine Möglichkeit diese Dynamik zu verändern, ist die Einführung von Netzwerkstrukturen oder Entscheidungsprozessen, die auf Konsens beruhen. Modelle wie das kollegial geführte Unternehmen bieten strukturelle Alternative. Ein weniger radikaler Ansatz wäre, die Bedeutung von Expertenkarrieren im Unternehmen zu stärken und ihnen mehr Anerkennung zu verschaffen. Da Wissen oft als Macht gilt, führt dies in manchen Fällen dazu, dass Mitarbeiter ihr Wissen zurückhalten, um eigene Vorteile zu sichern. Dies kann jedoch dem gesamten Unternehmen schaden, da die Energie, die für individuelle Ziele verwendet wird, dem Team und der Organisation als Ganzes fehlt.
Um diesen negativen Effekten entgegenzuwirken, können Unternehmen auf wertschätzende Konfliktlösungen und mehr Transparenz setzen. Ein Beispiel dafür ist der Hedgefond Bridgewater, bei dem Führungskräftemeetings auf Video aufgezeichnet und allen Mitarbeitern zur Verfügung gestellt werden, um Transparenz und Offenheit zu fördern.
Onpulson: Wie können Führungskräfte Druck auf die unteren Führungskräfte vermeiden, und wie kann dies in der Praxis umgesetzt werden?
Christian Bernhardt: In Krisenzeiten wird der Druck auf Führungskräfte besonders spürbar. Wenn alles gut läuft, ist Führung einfach, und viele glauben, dass der Erfolg des Unternehmens automatisch auch auf ihr richtiges Handeln zurückzuführen ist. Das führt zur sogenannten Erfolgsillusion. Doch der Zusammenhang zwischen Erfolg und Führung ist nicht immer kausal – ähnlich wie an der Börse, wo es in guten Zeiten schwer ist, Verluste zu machen.
In schwierigen Zeiten zeigt sich erst, wie kompetent eine Führungskraft wirklich ist. Eine der wichtigsten Eigenschaften ist hierbei Demut. Sie bedeutet nicht Schwäche, sondern echte Stärke. Führungskräfte, die erkennen, dass ihr Einfluss auf den Erfolg oft begrenzter ist, als sie glauben, setzen sich weniger unter Druck, wenn Herausforderungen auftreten. Dies ermöglicht es ihnen, loszulassen, klare Vorgaben zu machen und den Mitarbeitern zu vertrauen, sodass diese ihre Stärken voll entfalten können. In Verbindung mit offener Kommunikation und Transparenz kann dies dazu führen, dass Teams und Unternehmen über sich hinauswachsen.
Ein Beispiel hierfür ist die Hotelkette Upstalsboom, die während der Corona-Krise ihre erfolgreichsten Jahre hatte, obwohl die Branche stark betroffen war. Die Führung setzte klare Ziele – die Sicherung der über 70 Häuser – und überließ den Mitarbeitern die Umsetzung. Transparente Kommunikation, etwa durch tägliche Updates zur Lage mittels eines Ampelsystems, schaffte Vertrauen. Bodo Janssen, der Chef von Upstalsboom, zeigte Demut, indem er den Mitarbeitern zutraute, die besten Entscheidungen zu treffen. Diese Erfolge basierten jedoch auf einer Kultur der Wertschätzung, die er in den Jahren zuvor aufgebaut hatte.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Fehlerkultur. Wenn Mitarbeiter Angst haben, dass Fehler gegen sie verwendet werden, treffen sie oft vorsichtige Entscheidungen, die der Organisation jedoch wichtige kreative Impulse vorenthalten. Eine positive Fehlerkultur zu etablieren, ist Aufgabe der Führung. Ein Beispiel dafür sind „Mean Reviews“, bei denen Führungskräften negatives Feedback vorgelesen wird und ihre Reaktion aufgezeichnet wird, um Offenheit zu demonstrieren.
Melinda Gates hat dies bei der Gates Foundation umgesetzt. Ray Dalio hat bei Bridgewater eine kompromisslose Ideen-Meritokratie eingeführt, bei der alle Meinungen gehört werden. Veranstaltungen wie „Fuck-Up Nights“, bei denen Fehler öffentlich anerkannt werden, fördern ebenfalls eine positive Fehlerkultur.
Onpulson: Warum ist es wichtig, mehrere Pausen zwischen digitalen Meetings einzuplanen, und wie kann dies die Produktivität und Kreativität der Mitarbeiter fördern?
Christian Bernhardt: Wir benötigen eine gewisse Zeit, um das Erlebte geistig zu verarbeiten. Sie haben bestimmt schon einmal die Erfahrung gemacht, dass Ihnen nach einem persönlichen Meeting eine neue, wertvolle Idee kam, als Sie auf dem Rückweg mit einem Kollegen gesprochen haben. Hinzu kommt, dass unser Gehirn Pausen braucht, um die besprochenen Inhalte zu ordnen und zu speichern. Dies ist besonders wichtig, weil wir in Online-Meetings die fehlende direkte Interaktion und nonverbalen Signale durch erhöhte kognitive Anstrengung ausgleichen müssen, was uns schneller ermüden lässt. In der Psychologie wird dies als „Zoom-Müdigkeit“ bezeichnet.
Wenn wir nicht genügend Pausen einlegen oder uns zu sehr belasten, erschöpft das unser Gehirn, insbesondere den Hippocampus. Dr. Michael Nehls beschreibt in seinem Buch „Das erschöpfte Gehirn“, dass dadurch unsere Fähigkeit zur kritischen Reflexion und zum tiefgehenden Denken beeinträchtigt wird. Stattdessen treffen wir eher oberflächliche und konservative Entscheidungen – nicht die besten Voraussetzungen, um auf Veränderungen flexibel zu reagieren.
Onpulson: Inwiefern beeinflusst das Verhältnis zwischen persönlicher Kompetenz und der Herausforderung einer Aufgabe das Empfinden für Stress und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter?
Christian Bernhardt: Der ungarische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi hat in seinen Studien das Phänomen des Arbeitens im Flow erforscht und beschrieben. Dabei zeigt die vertikale Achse das Niveau der Herausforderung und die horizontale die persönliche Kompetenz. Wenn beide im Einklang sind, oder die Herausforderung etwa 4 Prozent über der individuellen Fähigkeit liegt, entsteht ein Zustand des Flows. Ist die Herausforderung jedoch deutlich höher, führt dies zu Stress, der bei längerer Überforderung zu Überlastung oder Burnout führen kann.
Ist die Anforderung dagegen zu gering, kommt es zu Langeweile, was zu einem Boreout führen kann. Da sowohl die Anforderungen als auch die Kompetenzen sich ständig weiterentwickeln, ist es wichtig, flexibel darauf zu reagieren. Maßnahmen wie Potenzialanalysen, Stärkentests, Projekte, Personalentwicklung, Jobcrafting oder auch eine Reduzierung der Arbeitszeit können hier hilfreich sein.
Onpulson: Wie kann die Förderung von kontinuierlichem Lernen in einem Betrieb dazu beitragen, Stress zu reduzieren und das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu erhöhen?
Christian Bernhardt: In unserer zunehmend komplexen Welt, die sich durch den digitalen Wandel verändert und zusätzlich durch den Mangel an Fachkräften und Überlastung vieler Mitarbeiter geprägt ist, nehmen die Herausforderungen stetig zu. Daher sind kontinuierliche Weiterbildung und die Förderung von lebenslangem Lernen essenziell, um die Fähigkeiten der Mitarbeiter weiterzuentwickeln und sicherzustellen, dass sie effizient und nicht dauerhaft überfordert arbeiten können.
Lernen fällt besonders leicht, wenn uns ein Thema begeistert. Ein Beispiel hierfür ist Google, das seinen Mitarbeitern schon vor 20 Jahren freitags die Möglichkeit bot, an eigenen Projekten zu arbeiten. Daraus entstanden Erfolgsgeschichten wie Gmail und Google Maps. Wir lernen besonders effektiv, wenn wir unser Wissen weitergeben. Die Förderung des unternehmensinternen Wissenstransfers – d.h. gegenseitiges Weitergeben von Wissen – hat dabei gleich mehrere Vorteile: Nicht nur profitieren die weniger erfahrenen Kollegen, auch die Wissensvermittler verbessern ihre eigenen Fähigkeiten.
Zudem ist dieser Ansatz kostengünstig und stärkt den Zusammenhalt im Team. Eine einfache Methode zur Umsetzung könnte beispielsweise eine „Contribution Matrix“ sein. Dabei tragen Mitarbeiter ihre Kompetenzen in ein gemeinsames Excel-Dokument ein und bewerten diese nach einem Ampelsystem. Kollegen, die in einem Bereich stark (grün) sind, bereiten dann einen kurzen Wissensinput für diejenigen vor, die in diesem Bereich noch Unterstützung benötigen (rot). Weitere Maßnahmen umfassen das Angebot für motivierte Mitarbeiter an Seminaren oder Messen, mit der Aufgabe, das neu erworbene Wissen anschließend im Team weiterzugeben.
Onpulson: Wie können Unternehmen eine gesunde Schlafhygiene fördern?
Christian Bernhardt: Strukturelle Maßnahmen können unter anderem durch Gleitzeiten für die Mittagspause, spezielle Ruheräume für kurze Pausen oder die Möglichkeit, Yogamatten zu nutzen, um sich hinzulegen, geschaffen werden. Während der Homeoffice-Phase in der Corona-Pandemie haben viele von uns die positiven Effekte erlebt, wenn man nach dem Mittagessen für 15 Minuten dem Bedürfnis nach Ruhe nachgibt. Studien zeigen, dass ein kurzer Mittagsschlaf die Produktivität, Energie und soziale Interaktion fördert und gleichzeitig das Risiko für Herzinfarkte sowie andere Zivilisationskrankheiten reduziert.
Ein weiterer Aspekt, den Unternehmen berücksichtigen sollten, betrifft die unterschiedlichen Chronotypen: Die „Eulen“, die abends lange wach bleiben, und die „Lerchen“, die früh aufstehen. In der Arbeitswelt dominieren die „Lerchen“, weshalb Meetings oft früh beginnen, was „Eulen“ zwingt, zu früh aufzustehen. Dies führt zu Schlafmangel, was ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigt und das Risiko für Erschöpfung und Krankheiten erhöht. „Eulen“ können nicht einfach früher ins Bett gehen, da ihr biologischer Rhythmus anders funktioniert – ähnlich wie niemand von den „Lerchen“ erwartet, bis in die späten Stunden auf Betriebsfeiern zu bleiben.
Der Chronotyp ändert sich zudem im Laufe des Lebens: Wir beginnen als „Lerchen“, durchlaufen in der Jugend und bis in die frühen 30er Jahre eine „Eulen-Phase“ und kehren im Alter wieder zu den „Lerchen“ zurück. Jüngere Menschen und „Eulen“ werden oft benachteiligt, obwohl die Unterschiede bekannt sind. Während wir Diversität fordern, bleibt dieser Aspekt oft unberücksichtigt. Einige Privatschulen in England setzen dies um, indem sie den Unterricht erst um 9 Uhr beginnen. Unternehmen könnten ihre Mitarbeiter durch flexible Arbeitszeiten, etwa mit einer Kernarbeitszeit ab 10 Uhr, in ihrer Schlafhygiene unterstützen.
Bildnachweis: istockphoto.com/AnaMOMarques
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