Geschäftsführerin compass international

Elke Müller: „Misslungen ist das Onboarding, wenn die Neuen den Job erst gar nicht antreten“

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Onpulson im Gespräch mit Elke Müller, Autorin des Buches „Professionelles Onboarding" und Geschäftsführerin des Unternehmens compass international, das sich mit dem Thema Vielfalt im Arbeitsleben beschäftigt. Für sie ist im Onboarding-Prozess - neben der fachlichen Einarbeitung - wichtig, auch eine emotionale Bindung zum neuen Betrieb zu schaffen.

Elke Müller ist Autorin und Geschäftsführerin von compass international. Das Unternehmen setzt sich mit dem Thema Vielfalt im Arbeitsleben auseinander. Foto: Uwe Kloessing, Ben Schulz & Partner AG

Onpulson: Frau Müller, Sie sind Geschäftsführerin der compass international und Autorin. In Ihrem Buch „Professionelles Onboarding“ schreiben Sie, dass Onboarding bereits vor der Stellenausschreibung beginnt. Welche konkreten Schritte sollten Unternehmen in dieser frühen Phase einleiten, um den Onboarding-Prozess optimal vorzubereiten?

Elke Müller: Dahinter steckt der Gedanke, dass ein Unternehmen sehr gut wissen sollte, wen es in der Organisation braucht – das heißt, wer konkret die Stelle X oder die Rolle Y ausfüllen soll. Nicht nur rein fachlich, sondern auch menschlich und persönlich. Aus dem Vertrieb kennen wir Personas – eine klare Beschreibung des Kundenprofils, um den gesamten Prozess darauf auszurichten. Dadurch fällt es leichter, diesen optimal zu erreichen. Und genau das Gleiche sollten wir für die Bewerberinnen und Bewerber tun. Je klarer das Cluster, desto passendere Bewerbungen kommen, desto besser und individueller kann in der Folge der Onboarding-Prozess aufgesetzt und strukturiert sein.

Onpulson: Onboarding dreht sich meist um fachliche Themen. Reicht das oder sind auch Themen wie die soziale, emotionale und kulturelle Integration entscheidend?

Elke Müller: Natürlich ist die fachliche Einarbeitung von entscheidender Bedeutung, schließlich soll die neue Kollegin ja eine Stelle oder Rolle bestmöglich ausfüllen, die Prozesse verstehen und alle Aufgaben selbstständig erledigen können. Aber mindestens genauso wichtig ist es, eine emotionale Bindung zum Unternehmen zu schaffen und die Unternehmenskultur zu verinnerlichen. Es geht darum, ein Gefühl von Zugehörigkeit und Sicherheit aufzubauen. Denn nur, wenn auch diese gegeben sind, wird die neue Kollegin viel eher Verantwortung übernehmen, sich persönlich und menschlich in das Team einbringen und sich für einen positiven Umgang untereinander einsetzen. Diese Punkte sind für eine nachhaltige und langfristige Bindung an den Arbeitgeber essenziell.

Onpulson: Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung, den Onboarding-Prozess in einem hybriden oder sogar vollständig virtuellen Arbeitsumfeld durchzuführen. Welche Tipps geben Sie Unternehmen, um auch unter diesen Bedingungen ein effektives Onboarding zu garantieren?

Elke Müller: Es geht darum, auch im virtuellen Raum Emotionen anzusprechen. Die fachliche Einarbeitung lässt sich tatsächlich sehr gut virtuell oder hybrid umsetzen. Sei es durch virtuelle Workshops, Lernplattformen oder E-Learning-Konzepte – die Bandbreite der Möglichkeiten ist hier enorm. Die echte Herausforderung liegt hier in der sozialen und emotionalen Integration, denn diese braucht Begegnungen und Austausch abseits rein fachlicher Inhalte.

Wenn es daher irgend möglich ist, ist ein „echtes persönliches Kennenlernen“ immer vorzuziehen – wenn es dabei um Teambuilding, Spaß und Austausch geht und die Personen im Mittelpunkt stehen. Das lässt sich allerdings auch virtuell umsetzen – vielleicht mit einem gemeinsamen Escape-Game, das das Team zu bestehen hat oder kleineren Teamaufgaben, die nur gemeinschaftlich zu lösen sind. Während des Onboarding-Prozesses bieten virtuelle Kaffeepausen eine gute Möglichkeit, Kolleginnen und Kollegen anderer Bereiche kennenzulernen – mit einem Tool kann hier eine zufällige Auswahl getroffen werden, wer sich trifft. Wichtig ist allerdings auch ein fester Ansprechpartner oder noch besser: Ein Buddy für den Onboardee, an den sich dieser jederzeit mit allen seinen Fragen wenden kann.

Onpulson: Brauchen Unternehmen ein zielgruppenspezifisches Onboarding?

Elke Müller: Gegenfrage – eine neue Führungskraft soll gegebenenfalls den gleichen Prozess wie eine Auszubildende durchlaufen? Kann man machen, wenn unter Onboarding eine knappe Begrüßung, die Ausgabe der notwendigen Arbeitsgeräte und ein Herumführen durch das Unternehmen verstanden wird.

Wenn Onboarding aber als langfristiger Prozess zur Integration verstanden wird, versteht es sich von selbst, dass es zielgruppenspezifische Besonderheiten braucht. Das schließt zum Beispiel nicht aus, dass es Welcome Days für alle Neuen gemeinsam gibt, denn die Auszubildende und die Führungskraft können zusammen über Unternehmensrichtlinien informiert werden.

Onpulson: Was aber ist bei jedem Mitarbeitenden gleich im Prozess des Onboardings?

Elke Müller: Die Ziele des Onboardings sind für alle neuen Mitarbeitenden gleich: Gutes Verständnis der neuen Aufgaben und somit selbstständiges Arbeiten, persönliche und emotionale Integration in das eigene Team und darüber hinaus Aufbau einer Beziehung zu allen relevanten Stellen und Personen, die ebenfalls wichtig sind für die Erfüllung der Aufgabe. Das bedeutet, dass jeder Mitarbeitende erfolgreich in das für ihn relevante Netzwerk innerhalb des Unternehmens integriert werden sollte.

Onboarding soll allen die Unternehmenswerte vermitteln und es den Neuen ermöglichen, anzudocken. All diese genannten Punkte bauen und festigen eine Beziehung zum neuen Arbeitgeber, sie zahlen auf das Gefühl von Zugehörigkeit ein und sorgen dafür, dass neue Kolleginnen und Kollegen auch lange in der Organisation bleiben – eigentlich das wichtigste Ziel von Onboarding!

Onpulson: Welche Rolle spielen die von Ihnen in Ihrem Buch genannten Video-Tutorials, vertiefende Lerninhalte und das Lerntagebuch im Onboarding-Prozess? Wie fördern diese Werkzeuge die Integration neuer Mitarbeitenden?

Elke Müller: Diese Materialien sind natürlich für die Leserinnen und Leser gedacht. Sie sollen im Buch angesprochene Themen weiter vertiefen. Nehmen wir etwa das Lerntagebuch. Die Leserin oder der Leser erhalten eine Reihe von Reflexionsfragen an die Hand und können das Gelesene für sich persönlich nochmals bearbeiten. Es unterstützt den Prozess, dass beispielsweise ein Mitarbeiter von HR das vorhandene Onboarding neu aufstellt, und macht ihn individueller. Welche Themen sind für ihn und das Unternehmen passend, welche eher nicht? Welche eigenen Erfahrungen können eingebracht werden?

Andere Materialien vertiefen bestimmte Themen, die den Rahmen des Buches sprengen würden und auch eher am Rande das Onboarding betreffen. Es gibt unter anderem eine Podcastfolge mit einer Mitarbeiterin einer Organisation, die New Work lebt. Wir sprechen darüber, wie es ihnen gelingt, neue Mitarbeitende zu integrieren und wie sie mit Vielfalt innerhalb der Organisation umgehen.

Onpulson: Was ist wichtig in der Zeit nach dem Onboarding, damit die Mitarbeitenden langfristig an das Unternehmen gebunden werden?

Elke Müller: Nicht nachlassen! Damit meine ich, dass es nicht reicht, wenn es einen Top-Onboarding-Prozess gibt, der drei oder sechs Monate die Neuen gut begleitet und dann passt die empfundene Arbeitsrealität nicht mehr dazu. Die Unternehmenswerte und das Leitbild müssen dauerhaft gelebt werden, nicht nur in den ersten Wochen oder Monaten. Bindung erreicht man durch Wertschätzung, eine offene Feedback- und Fehlerkultur, durch gezielte Weiterbildung und vor allem durch gute Führung. Schon die Onboardingphase zeigt auf, ob Dinge, die beispielsweise in einem Mitarbeiterhandbuch beschrieben sind, auch wirklich umgesetzt oder gelebt werden. Es darf keine Diskrepanz geben zwischen einem Idealbild des Unternehmens und der täglichen Realität – das erreicht dann leider das genaue Gegenteil von Bindung.

Onpulson: Haben Sie ein Beispiel für ein wirklich gelungenes Onboarding?

Elke Müller: Dazu fällt mir ein sehr gelungener Prozess ein, der die neuen Auszubildenden im Blick hat. Bei Azubis besteht ja die Schwierigkeit, dass ein Ausbildungsvertrag oft schon fast ein Jahr vor dem eigentlichen Beginn der Ausbildung geschlossen wird. Wie diese lange Pre-Boarding-Phase überbrücken, um die neuen Talente nicht gleich wieder zu verlieren?

Ein Unternehmen bindet dazu die Auszubildenden des zweiten Lehrjahres aktiv ein. Sie bekommen eine Weiterbildung in Kommunikation und kümmern sich dann über soziale Medien und interne Chatgruppen um einen engen Austausch mit den Neuen. Da gibt es mal kleine Videos aus dem eigenen Alltag oder die Möglichkeit, einen Tag lang Fragen zu stellen. Gleichzeitig werden regelmäßig gemeinsame Events organisiert, sodass darüber schon eine sehr persönliche Beziehung aufgebaut werden kann.

Ja, all das ist Arbeit. Aber es bringt unglaublich viel Motivation für die, die verantwortlich für die künftigen Kolleginnen und Kollegen sind, es bindet die Neuen, macht diese neugierig und sorgt letztendlich dafür, dass kaum Azubis noch vor Ausbildungsbeginn einfach „verschwinden“.

Onpulson: Und haben Sie ein Beispiel für ein absolut misslungenes Onboarding?

Elke Müller: Misslungen ist das Onboarding, wenn die Neuen den Job erst gar nicht antreten – und das sind laut Studien immerhin fast 20 Prozent der eingestellten neuen Kolleginnen und Kollegen. In sehr vielen dieser Fälle gab es keine Pre-Boarding-Phase, keinen echten Kontakt zwischen Vertragsunterzeichnung und dem ersten Tag. So entsteht nun einmal kein Gefühl von „…denen bin ich wichtig, die kümmern sich um mich!“

Besonders krass ist dies oft bei Mitarbeitenden, die aus dem Ausland kommen. Hier kann der Prozess von der Visumbeantragung bis zur Einreise sechs und mehr Monate dauern – eine Zeit, in der sehr viele völlig auf sich gestellt sind. Rückfragen, wie zum Beispiel nach einer Wohnung für die ersten Monate nach der Einreise, werden als unverschämt oder als Zumutung empfunden. Mich wundert es nicht, wenn diese Mitarbeitenden so schnell wie möglich nach anderen Optionen schauen. Leider wird in vielen Unternehmen aber nicht hinterfragt, was die eigenen Anteile daran sind, dass Jobs nicht angetreten werden, sondern es sind „Die undankbaren Bewerberinnen und Bewerber oder die verwöhnte Gen Z“.

Onpulson: Wie hängen der Fachkräftemangel und ein gutes Onboarding zusammen? Das heißt: Können Unternehmen mit einer Onboarding-Strategie dem Fachkräftemangel entgegenwirken?

Elke Müller: Ja, können sie! Wir haben einen absoluten Bewerberinnen- bzw. Bewerber-Markt und alles, was einen relevanten Unterschied macht, um Wertschätzung und echtes Interesse an neuen Mitarbeitenden sichtbar zu machen, kann helfen, mehr Bewerbungen zu bekommen. Dafür müssen der Onboarding-Prozess oder die wichtigsten Elemente aber auch sichtbar sein – am besten schon auf den Karriereseiten.

Dann ist es wichtig, dass das Unternehmen sehr konkret weiß, wer die künftigen Mitarbeitenden sein sollen, denn nur dann gelingt (wie bei potenziellen Kunden) eine zielgenaue Ansprache dieser Menschen. Und diese Zielgenauigkeit muss ich dann durch den Onboarding-Prozess durchziehen – er sollte so persönlich und individuell wie nur möglich sein. So entsteht Wertschätzung und das Onboarding wird als Erlebnis und nicht als knappe und trockene Vermittlung von Fachthemen wahrgenommen.

In Zeiten von Fachkräftemangel ist es wichtig, dass Unternehmen ihre künftigen Mitarbeitenden auch emotional erreichen, „nur“ ein gutes Gehalt oder Home-Office-Möglichkeiten oder gar der berühmte Obstkorb machen nicht die entscheidenden Unterschiede zu den vielen anderen Wettbewerbern um die besten Talente.

Bildnachweis: istockphoto.com/Miodrag Kitanovic

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