Neues Gesetz zur digitalen Barrierefreiheit
EU-Recht

Neues Gesetz zur digitalen Barrierefreiheit

Gabriele Horcher
Am

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (kurz BFSG) für Menschen mit Beeinträchtigung verpflichtet erstmals private Wirtschaftsakteure zu mehr digitaler Barrierefreiheit. Produkte und Dienstleistungen, die digital genutzt werden – zum Beispiel Computer und Smartphones, aber auch Telekommunikations- und Bankendienstleistungen – müssen ab dem 29.06.2025 barrierefrei(er) sein. Das stärkt langfristig die Inklusion.

Doch nicht nur Hersteller, Importeure und Händler der Produkte oder Anbieter der Dienstleistungen sind vom Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (kurz BFSG) betroffen: Alle Unternehmen und sogar Vereine müssen bis zum 28.06.2025 – unter Umständen – Apps, Online-Shops und Dokumente sowie Webseiten barrierefrei gestalten. In Deutschland leben rund 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen. Viele könnten von dem neuen Gesetz profitieren.

Finden Sie anhand der Checkpoints heraus, ob Sie als Unternehmen davon betroffen sind. Die folgende Checkliste und Informationen (Stand Juli 2023) stellen eine Orientierungshilfe dar – sie sind keine Rechtsberatung. Außerdem können die Forderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes noch angepasst oder erweitert werden.

Checkpoint 1

Wenden sich Ihre Produkte und Dienstleistungen, Online-Shops, Webseiten, Apps, E-Books und Dokumente weder direkt noch indirekt an Verbraucher? Dann können Sie sich jetzt entspannen. Denn das Gesetz wurde zur Stärkung von Verbrauchern und Nutzer/innen erlassen.

Tipp
Doch nur weil Sie nicht dazu gezwungen sind, bedeutet es nicht, dass Sie im Business-to-Business-Bereich und speziell bei (potenziellen) Mitarbeitern durch Ihre digitale Barrierefreiheit nicht auch Wettbewerbsvorteile erzielen können. Menschen mit Beeinträchtigungen benötigen auch bei ihrer Berufsausübung mehr digitale Barrierefreiheit!

Checkpoint 2

Ihre Kunden oder Mitglieder sind direkt/indirekt Verbraucher. Wenn Sie nur eine der folgenden Fragen mit ‚Ja‘ beantworten, dann gehört Ihre Organisation – bis auf Ausnahmen, siehe unten – zu den Wirtschaftsakteuren, die bis Mitte 2025 Produkte, Dienstleistungen, Apps, Online-Shops, Webseiten, E-Books und digitale Dokumente für Nutzer barrierefrei(er) gestalten müssen.

Sind Sie Hersteller, Importeur oder Händler der folgenden Produkte?

  • Fernsehgeräte mit Internetzugang, Computer, Notebooks, Tablets, Smartphones, Mobiltelefone, E-Book-Reader oder Router
  • Geld-, Fahrausweis- oder Check-In-Automaten
  • Betriebssystem- oder Anwendungs-Software, E-Books oder Apps für die oben genannte Hardware sowie Bedienoberflächen für Automaten

Sie sind Hersteller eines der oben genannten Produkte:

  • Vermutlich haben Sie bereits eine BFSG-Task-Force eingerichtet, die sich intensiv mit den spezifischen Forderungen auseinandersetzt. Falls nicht, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dafür.
  • Denn Sie dürfen sonst Produkte, die nach dem Stichtag produziert wurden, in Europa nicht mehr anbieten. Es gelten allerdings unterschiedliche Übergangsfristen für die einzelnen Produkt-Kategorien.

Sie sind Importeur oder Händler der aufgeführten Produkte:

  • Dann müssen Sie zukünftig dafür Sorge tragen, dass alle Produkte, die nach dem Stichtag produziert wurden und von Ihnen importiert oder verkauft werden, den BFSG-Anforderungen entsprechen.
  • Marktüberwachungsbehörden können hier – auch initiiert durch Verbraucher, Marktbegleiter und Verbände – dafür sorgen, dass Sie die Produkte in Europa nicht mehr einführen oder verkaufen dürfen.
  • Für Sie wird die Auswahl Ihrer Lieferanten entscheidend werden.
  • Überprüfen Sie rechtzeitig Ihre Verträge, und lassen Sie sich von den Herstellern über den Stand der Barrierefreiheit informieren.

Sind Sie Anbieter der folgenden Dienstleistungen?

  • Telefon- oder Messenger-Dienstleistungen (Telemedien)
  • Bankdienstleistungen
  • Leistungen im elektronischen Geschäftsverkehr (E-Commerce)
  • Bereitstellung von E-Books

Sie sind Anbieter einer der oben genannten Dienstleistungen:

  • Dann sollten Sie bereits eine Task-Force eingesetzt haben, die sich Ihre spezifischen Anforderungen genau ansieht. Es sei denn:
  • Sie gehören zu den sogenannten „Kleinstunternehmen“ mit weniger als zehn Beschäftigten oder höchstens 2 Millionen Euro Jahresumsatz.
  • Oder es ergeben sich durch die Barrierefreiheit grundlegende Veränderungen der Wesensmerkmale Ihrer Dienstleistung. *
  • Oder die Herstellung von Barrierefreiheit stellt für Sie eine unverhältnismäßige (nachweißbar bedrohliche) Belastung dar. *

* Das müssen Sie proaktiv bei Ihrer Marktüberwachungsbehörde anzeigen.

Checkpoint 3

Viele Organisationen nutzen bei der digitalen Kommunikation mit Verbrauchern Dienstleistungen der Telemedien, Bankdienstleistungen oder Leistungen des elektronischen Geschäftsverkehrs (E-Commerce). Damit werden Sie – dem BFSG nach – zu Leistungserbringern gegenüber Verbrauchern.

Ihre Kunden oder Mitglieder sind direkt/indirekt Verbraucher. Wenn Sie nur eine der folgenden Fragen mit ‚Ja‘ beantworten, dann gehört auch Ihre Organisation zu den Leistungserbringern.

Bieten Sie folgende digitale Kommunikationsleistungen an?

  • Apps: Sie bieten die Nutzung von Apps an
  • Online-Shops: Sie verkaufen über Ihre Website oder Ihren separaten Online-Shop Produkte oder Dienstleistungen*
  • Website**: Nutzer können auf Ihrer Website
    sich in einen Kundenbereich einloggen
    über ein Help-Desk-System ein Support-Ticket eröffnen
    online Termine vereinbaren
    ein Kontaktformular ausfüllen
    einen Chatbot oder einen Rückruf-Service nutzen
    über einen Spendenbutton spenden

* Ist der Online-Shop in Ihre Website integriert, müssen sowohl der Shop als auch die gesamte Website barrierefrei gestaltet sein. Durch den bloßen Link zu einem Online-Shop, der nicht direkt auf Ihrer Website ist, oder durch einen Link zu einem Affiliate-Partner werden Sie nicht zu einem Leistungserbringer.

** Wenn die Services auf Ihrer Website mit einer Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr in Verbindung stehen, handelt es sich um Dienstleistungen der Telemedien, die über Webseiten und auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen elektronisch und auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags erbracht werden. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn neben kostenfreien Content auch kostenpflichtiger Content angeboten wird. Das ist auch der Fall, wenn Sie Fragen zu Verkaufs- oder Supportzwecken über Chatbots oder über Rückruf-Services beantworten. Und bei der Nutzung eines Spendenbuttons kommt meist eine Bankdienstleistung hinzu. Das bedeutet, dass nach den Vorschriften des BFSG die gesamte Webseite barrierefrei zu gestalten ist.

Sie gehören zu den Leistungserbringern:

  • Wenn Sie kein Kleinstunternehmen sind, die Barrierefreiheit keine grundlegende Veränderung der Wesensmerkmale Ihrer Leistung ergibt oder es für Ihre Organisation keine unverhältnismäßige Belastung darstellt – dann sind Sie ebenfalls ab dem 28.06.2025 verpflichtet, Ihre Apps, Ihre Online-Shops und die damit verbundenen digitalen Dokumente oder Webseiten barrierefrei zu gestalten.
  • Leiten Sie diese Information zeitnah an die Verantwortlichen in Ihrer Organisation weiter und bilden Sie eine übergeordnete Task Force.
  • Nutzen Sie Anbieter, deren Dienstleistungen barrierefrei sind – bzw. die Ihnen jetzt schon zusichern können, dass deren Dienstleistungen bis zum Stichtag barrierefrei sein werden.
  • Planen Sie die Umsetzung rechtzeitig mit internen und externen Dienstleistern, um die geforderten Änderungen möglichst noch weit vor dem Stichtag zu realisieren. Anfang 2025 werden alle entsprechenden Dienstleister ausgebucht sein.
  • Darüber hinaus werden es Ihnen Ihre Nutzer danken. Und Sie können eine zusätzliche Zielgruppe noch früher bedienen.

Tipp
Jeder Zweite in Deutschland würde von mehr digitaler Barrierefreiheit profitieren. Dabei ist nicht die Frage entscheidend, ob Sie als Organisation rein rechtlich unter das BFSG fallen. Sondern ob Sie die wichtige Zielgruppe der Menschen mit einer dauerhaften, temporären oder auch nur situationsbedingten Beeinträchtigung ausschließen wollen – als mögliche Kunden, Mitarbeiter, Partner oder Investoren. Denn Sie können mit Ihren bestehenden Mitteln – unterstützt durch Künstliche Intelligenz – Menschen mit Behinderungen nicht nur ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen, sie können gleichzeitig Ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken.

Bildnachweis: ©Depositphotos.com

Über den Autor

Gabriele Horcher

Gabriele Horcher Keynote Speakerin Gabriele Horcher ist Expertin für die Kommunikations-Strategie der Zukunft. Sie ist darüber hinaus Bestseller-Autorin und Transformational Coach. Sie fungiert als Sparringspartner für die Transformation von Kommunikation in allen Unternehmensbereichen. Seit über 40 Jahren beobachtet sie die Entwicklung und die Transformation der Kommunikation. Seit zwei Jahrzehnten lehrt sie als Dozentin an Fachhochschulen und Weiterbildungseinrichtungen. Ende 2022 hat Sie nach zwei Jahrzehnten als Kopf der Agentur Möller Horcher Kommunikation ihre Anteile im Rahmen eines MBO an ihre Mitarbeiter weitergegeben. www.gabriele-horcher.de
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