Fehlende Fachkräfte in der MINT-Branche gefährden den Wirtschaftsmotor
Schon seit Jahren wächst die Personallücke in Deutschland und vor allem der sogenannte MINT-Bereich, bestehend aus Mathematikern, Informatikern, Naturwissenschaftlern und Technikern, steht vor einem großen Fachkräftemangel. Damit lassen sich viele Projekte in der Digitalisierung oder auch dem Klimaschutz nur schwer umsetzen. Händeringend suchen Unternehmen nach geeignetem Fachpersonal. Wie lässt sich dieser Mangel ausgleichen und welche Maßnahmen müssen Politik und Wirtschaft dafür ergreifen?
Im April 2023 zählte das Institut der deutschen Wirtschaft in diesem Arbeitsgebiet rund 496.500 zu besetzende Stellen. In den kommenden Jahren soll diese Zahl voraussichtlich auch noch um einiges steigen, besonders, wenn in Kürze ein großer Teil der Generation der Babyboomer in den wohlverdienten Ruhestand geht. Aktuell scheiden hier jährlich circa 64.700 Angestellte aus Altersgründen aus. Im Zuge des anhaltenden demografischen Wandels verlässt somit vor allem in den nächsten fünf Jahren ein nicht unerheblicher Teil der bestehenden Fachkräfte den Arbeitsmarkt.
Gleichzeitig wird diese beunruhigend hohe Zahl jedoch voraussichtlich nur durch eine relativ geringe Anzahl an Studierenden und Auszubildenden ersetzt. Aktuelle Hochrechnungen können dieses Defizit in keinem Fall ausgleichen, weshalb sich der Mangel weiter verschärft. Vor allem, da seit einiger Zeit die Bewerberzahlen stetig weiter sinken. Damit stehen vor allem viele Unternehmen vor der Schwierigkeit, aktuell freie Stellen zu besetzen, und können sich daher auch schlecht weiterentwickeln. Auch Politik und Wirtschaft haben das sich ausbreitende Problem längst erkannt und versuchen mit entsprechenden Taktiken, den flächendeckenden Großbrand Stück für Stück zu löschen.
Krise baut sich aus
Große Personallücken herrschen vor allem in den Energie- oder Elektroberufen und der Maschinen- und Fahrzeugtechnik, aber auch in den klassischen IT-Berufen zählt die Studie aktuell circa 50.600 offene Stellen. Zwar hat sich der Mangel in den letzten Jahren etwas verkleinert, trotzdem sorgen die fehlenden Fachkräfte immer noch für große Hindernisse. Gerade kleine und mittlere Betriebe können somit kaum Digitalisierungsstrategien entwickeln oder umsetzen. Zudem gestaltet es sich ohne die zusätzliche Hilfe ebenso schwierig, den Ausbau von klimaschonender Technologie weiter voranzutreiben.
Zwar wollen viele Unternehmen hier ihren Teil beitragen und in die Zukunft investieren, aber ohne Angestellte, die sich diesem Thema intensiv widmen, scheint dieses Bestreben oft nur vergebene Liebesmüh. Unternehmen stehen währenddessen jedoch immer unter Druck, sich durch Innovationen an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen, um so auch schwere Krisen möglichst unbeschadet zu überstehen.
Besonders in der schnelllebigen Informatik- und Softwarebranche kann es ansonsten schnell dazu kommen, dass das eigene Unternehmen hinter der weltweiten Konkurrenz zurückbleibt. Hier braucht es daher schnell ein entsprechendes Eingreifen, um den Mangel auszugleichen. Gerade die Einstellung von Quereinsteigern oder jungen Schulabsolventen bietet hier beispielsweise eine Chance für das Arbeitsmarktproblem.
Möglichkeiten direkter Einflussnahme?
Betriebe selbst können den Fachkräftemangel auf eigene Faust und mit einer praxisnahen Strategie angehen. Nicht immer braucht es für eine Anstellung direkt ein Studium oder schon eine fertige Ausbildung. In vielen Fällen lassen sich die, für die Branche benötigten Fähigkeiten erst wirklich im realen Arbeitsumfeld vollständig erlernen. Gerade bei einem Studium, in dem der theoretische Ansatz häufig überwiegt, braucht es in der Regel sowieso einige Zeit für die Einarbeitung der Bewerber:innen.
Damit macht es für viele Unternehmen nicht unbedingt einen großen Unterschied, ob sie auf Quereinsteiger und interessierte Schulabgänger oder Studenten und Auszubildende setzen, da sie in beiden Fällen häufig sowieso Zeit beziehungsweise Geld in den Prozess investieren müssen. Im Zweifel lässt sich beides sogar durch ein duales Studium vereinen. Mit mehr Engagement für die interne Ausbildung haben vor allem Geschäftsführer mit kleinerer Belegschaft die Möglichkeit, sich selbst dem bestehenden Personalmangel anzunehmen. Auch außerhalb der MINT-Branche brauchen Betriebe sich nicht vor dem in der Arbeitswelt natürlichen Phänomen der Abwanderung zu fürchten. Fast niemand verbringt in der heutigen Zeit seine gesamte Karriere in einem einzigen Unternehmen.
Frauenpower als mögliche Lösung?
Immer noch gelten die MINT-Berufe als eine relative Männerdomäne, in die sich nur selten ein weibliches Individuum verirrt. In Hörsälen oder Berufsschulen dominieren vor allem männliche Studenten und Auszubildende. Seit 2015 geht die Anzahl der neuen Studenten in Mathematik, Informatik und den naturwissenschaftlichen beziehungsweise technischen Bereichen jedoch immer weiter zurück. Unternehmen, Verbände und Hochschulen hofften in diesem Zusammenhang auf Bemühungen, die Branche attraktiver für weibliche Bewerber zu gestalten, aber auch der langsam steigende Anteil an Frauen in den letzten Jahren konnte nur in geringem Maße zu der aktuellen Situation beitragen.
Hier braucht es daher unbedingt eine Verstärkung der momentanen Bemühungen. Auf der einen Seite müssen Lehrkörper Mädchen und Jungen am besten schon in jungen Jahren vermehrt an diese MINT-Themen heranführen, damit sie sich in ihrer späteren Berufslaufbahn für die Fächer entscheiden. Auf der anderen Seite benötigt es auch eine intensive Förderung bei speziellen Talenten in einer der Themenrichtungen, um das Interesse der jungen Menschen weiter auszubauen. Hier hilft es auch, immer wieder auf die Bedeutung der entsprechenden Studiengänge oder Ausbildungsstellen für das Zukunftsthema Nachhaltigkeit hinzuweisen. Von der Grundschule bis zum Abitur braucht es somit eine Zunahme an Angeboten sowie beispielsweise verpflichtende Kurse in Informatik.
Schnelle Lösung gebraucht
Gerade in Schulen geht kaum etwas von heute auf morgen. Änderungen im Bildungssystem brauchen schon bei der Umsetzung in den aktuellen Lehrplan häufig einiges an Zeit. Bis solche möglichen Anpassungen jedoch wirkliche Auswirkungen auf die nächste Generation an Schüler:innen haben werden, nimmt der Fachkräftemangel stetig weiter zu. Auch das Fehlen von Lehrpersonal in bestimmten naturwissenschaftlichen Fächern stellt hier ein anzugehendes Problem dar.
Während die Schulbildung somit eine wichtige Grundlage ist, muss das Interesse an der MINT-Branche selbstverständlich im Zuge einer Ausbildung oder eines Studiums weiter erhalten bleiben. Gerade hier erweist sich die Abbruchquote aber als relativ hoch. Berufsorientierung sowie Beratungsangebote helfen Universitäten und der Wirtschaft unter anderem dabei, die Zahl der Studienzweifler zu reduzieren. Aktuell braucht es jedoch Lösungen, die sich relativ kurzfristig umsetzen lassen, um den Wirtschaftsmotor in Deutschland weiter am Laufen zu halten.
Hier bietet sich einerseits die Rekrutierung von bestehenden Fachkräften aus dem inner- und außereuropäischen Ausland an. Andererseits steht das Thema Quereinsteiger und Umschulung immer wieder im Raum. Zwar dauert dieser Schritt auch seine Zeit und erfordert eine entsprechende Planung, aber trotzdem bringt er mit der richtigen Umsetzung relativ schnell Erfolge.
Dabei stehen Betriebe jedoch häufig selbst in der Pflicht für eine entsprechende Ausbildung zu sorgen. Durch solche Maßnahmen könnten Unternehmen die aktuelle Krise langsam in den Griff bekommen und dafür sorgen, sich entsprechende Angestellte im Innovationskampf sichern.
Bildnachweis: ©istockphotos.com/AndreyPopov
Kommentare