Fachkräftemangel: Zum ersten Mal müssen sich Arbeitgeber strecken
Besonders in Deutschland sehen Arbeitgeberverbände und Wirtschaftsexperten neben dem permanenten Krisenmodus einen weiteren Faktor für stagnierende Wachstumsprognosen: Den Fachkräftemangel. Doch anstelle zu jammern, sollten die Unternehmen umdenken und ihre Arbeitsplätze für Fachkräfte attraktiver machen.
Alte und neue Problemkinder
Zur Klarstellung gleich vorab: Selbstverständlich existieren Fachbereiche, in denen ein Mangel vorhanden ist, durch welchen sich zu alledem besorgniserregende Folgen abzeichnen. Einige Branchen verzeichnen bereits fast schon traditionell eine große Lücke an Fachkräften, die zuletzt allerdings noch einmal deutlich zugenommen hat.
Dazu zählen nicht erst seit der Pandemie soziale Arbeit, Pflege und die generelle Gesundheitsversorgung. Nun kommt aktuell auch der Dienstleistungsbereich hinzu. So klagt das deutsche Handwerk über unbesetzte Ausbildungsplätze und fehlende Bewerber. Hierbei handelt es sich um essenzielle und für das gesellschaftliche Zusammenleben notwendige Posten, die es dringend zu besetzen gilt.
Fehlende Wertschätzung und über Jahre sinkende Reallöhne haben diese Branchen an einen Punkt gebracht, an dem es sich junge Menschen, die gerade in den Arbeitsmarkt eintreten, zweimal überlegen diesen Weg einzuschlagen. Fehlende Attraktivität hat diese Berufszweige schon über einen so langen Zeitraum belastet, dass sich der Schaden bis in die Wurzeln vorgearbeitet hat. Dieses Problem erweist sich aufgrund der Relevanz für gesellschaftliches Fortbestehen eher als politisch.
Zeiten ändern sich
Es ist richtig, dass geburtenschwache Jahrgänge um die Jahrtausendwende für eine schwindende Zahl von Menschen im erwerbsfähigen Alter gesorgt haben. Als Player in einem flexiblen Wirtschaftssystem sollten sich Unternehmer allerdings in der Lage sehen, auf diese neuen Umstände zu reagieren. Wann haben Entscheider die Fähigkeit zur Adaption verloren? Haben Jahrzehnte zwischen wirtschaftlicher Stabilität und Aufschwung sie zu bequem werden lassen?
Abseits davon existieren auch eindeutige Fakten, die gegen die Mär vom Fachkräftemangel sprechen: Deutschland weist zurzeit eine Rekordbeschäftigung auf. Circa 46 Millionen Menschen sind zurzeit erwerbstätig – so viele wie noch nie zuvor. Außerdem hat die in den Arbeitsmarkt eintretende Generation zu großen Teilen eine deutlich bessere Ausbildung genossen als jene, die ihn verlassen.
Mit Blick auf diese Tendenzen, fällt es schwer die These des schwindenden Faktors Arbeit aufrecht zu erhalten. Vielmehr hat der Wettbewerb am Jobmarkt zugenommen – und das nicht aufseiten der Bewerber. Zum ersten Mal müssen sich Arbeitgeber strecken, um an geeignetes Personal zu kommen. Doch anstatt dies zu tun, stimmen die meisten in den großen Chor des Jammerns ein.
Umdenken statt beklagen
Verantwortliche müssen einer unbequemen Wahrheit schlicht und ergreifend ins Auge sehen: In den meisten Branchen herrscht kein Mangel an Fachkräften – die begehrten Angestellten besetzen lediglich andere, gegebenenfalls bessere Stellen. Bewerber:innen aus der jüngeren Generation haben den Wert ihrer Arbeit erkannt. Top-Leister reagieren viel stärker auf Unterschiede in Lohnhöhe, Arbeitsbedingungen und Wertschätzung im Betrieb.
Hier müssen sich Unternehmer die Frage gefallen lassen, was sie bereit sind für einen A-Mitarbeiter zu geben und was sie tun, um diese zu halten oder gar erst zu sich zu lotsen. Zeigen sie sich notwendigen Veränderungen gegenüber aufgeschlossen, auch wenn es heißt alteingesessene Strukturen aufzubrechen?
Passen sie sich den gestiegenen Anforderungen von Spitzenkräften an, auch wenn es heißt die eigene Komfortzone zu verlassen? Oder geben sie lieber ein weiteres Interview, indem sie sich über die angeblich fehlende Arbeitsmoral der Generation Z beklagen?
Blick in die Zukunft
Um ein vollständiges Bild der zukünftigen Arbeitswelt und den Herausforderungen für Arbeitgeber zu zeichnen, darf auch ein Blick auf die technologische Entwicklung nicht fehlen. Vor allem KI-Programme werden den Markt auf eine Weise aufwühlen, die sich noch nicht in vollem Ausmaß vorhersehen lässt und die Anforderungen an Personal nochmals deutlich verändern. Fachkräfte schon vor dieser Disruption an sich zu binden, muss das Ziel eines jeden Unternehmers sein. Da A-Mitarbeiter, die man aufgrund von Versäumnissen bereits verloren hat, sich nur schwer wieder zurückgewinnen lassen, lohnt sich in eine andere Richtung Ausschau zu halten.
Adäquate Benefits als Zeichen der Wertschätzung überzeugen besonders die heranwachsende Arbeitnehmergeneration. Klischees von überbordenden Gehaltswünschen können erfahrene Recruiter oder andere Entscheider nicht bestätigen. Neben einem attraktiven Arbeitsumfeld und herausragenden Team, das mit voller Kraft an einer gemeinsamen Vision arbeitet, wollen wirkliche Top-Leister vielmehr die eigenen Fähigkeiten ausbauen und in ihrer persönlichen Entwicklung weiter wachsen. Ihnen dies zu ermöglichen, erweist sich als das ultimative Mittel gegen ein Problem, welches in der Realität nie wirklich bestand.
Bildnachweis: ©istockphoto.com/Dilok Klaisataporn
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