So optimieren Sie Ihren Einstellungsprozess
Um den Sprung in die Zukunft zu schaffen, brauchen wir keine Fachkräfte für den alten Trott, sondern Neudenker und Übermorgengestalter. Doch wie viele Vorwärtsstürmer und Andersmacher kann und will Ihr Unternehmen denn tatsächlich verkraften? Und sucht das Recruiting sie denn aktiv?
Der Wandel vom Analogen zum Digitalen und von klimafeindlichen zu klimafreundlichen Vorgehensweisen ist in vollem Gange. Hierfür brauchen die Unternehmen Mitarbeiter:innen mit Ideenpotenzial und maximaler Lernfähigkeit. Die zunehmende Vernetzung ganzer Systeme und die hohe Dynamik der Märkte erfordern insbesondere Menschen, die als Neudenker, Andersmacher und Übermorgengestalter agieren.
Doch wie bereit sind Sie, wenn nun tatsächlich ein Neudenker andockt? Wie gehen vor allem die Führungskräfte mit so jemandem um? Bevor Sie nach Ersteren Ausschau halten und sich hinterher lächerlich machen, weil die Realität eine ganz andere ist, hier gleich ein Tipp: Machen Sie zunächst eine anonyme Kurzumfrage unter den Mitarbeitenden, um festzustellen, ob Vorwärtsstürmer und Innovatoren bei Ihnen wirklich erwünscht und willkommen sind. Unter uns: Sie werden sich wahrscheinlich wundern, was Sie so alles zu hören bekommen.
Wer pfiffige Talente will, sollte seinen Suchprozess pfiffig gestalten
Mit gewöhnlichen Rekrutierungsmethoden kann man keine außergewöhnlichen Kandidaten finden. Originelles Recruiting hingegen zieht Neudenker magisch an. Am besten funktioniert das mit Guerilla-Recruiting, ein Konzept, das ursprünglich aus dem Marketing stammt. Geprägt sind solche Operationen durch den Überraschungseffekt und eine clevere Taktik. Gut gemachte Guerilla-Aktionen sind im wahrsten Sinne des Wortes einmalig, mutig, frech und unkonventionell. Sie polarisieren und kommen so ins Gespräch. Man mag sie oder man mag sie nicht, aber man redet darüber.
So suchte eine Schweizer Security-Firma Mitarbeitende mit ähnlichen Qualifikationen wie das Personal an den Flughafen-Sicherheitskontrollen. Sie gab ihren Geschäftsreisenden Metallplatten fürs Handgepäck mit, in die Sprüche eingeprägt waren wie dieser: „Gelangweilt? Bewerben Sie sich bei uns.“ Beim Durchleuchten wurden sie sichtbar. Das sprach sich wie ein Lauffeuer herum und brachte den erhofften Erfolg.
Die Employer-Branding-Firma Personalwerk nutzte für die Mitarbeitersuche den Umzug eines benachbarten Unternehmens. Dieses verließ die Stadt, um sich an einem Standort weit weg neu zu etablieren. Personalwerk platzierte Umzugskartons vor dem Haupteingang dieser Firma. Beschriftet waren sie mit Sprüchen wie „Viel Spaß beim Umzug. Wir bleiben in Wiesbaden.“, oder „Umziehen macht Rückenschmerzen? Dann bleib doch hier.“ Das brachte Medienrummel – und die gewünschte Neueinstellung.
Ein gutes Preboarding kann das gefürchtete Ghosting verhindern
Wer vielversprechende Talente will, muss bereits das Preboarding überdenken. Sehen wir uns dazu zwei konkrete Beispiele an: Jens entschied sich bei einer namhaften Unternehmensberatung für den Bereich „Digital“. Zur gleichen Zeit nahm Anna, eine Bekannte von ihm, ein Jobangebot bei einem jungen Digitalunternehmen an. Jens und Anna zogen für ihren neuen Arbeitgeber beide von Wien nach Berlin.
Jens’ Vorgesetzter meldete sich vier Wochen vor Arbeitsbeginn einmal per E-Mail. Hauptinhalt der Mail war die Empfehlung von zwei Büchern als Vorbereitungslektüre. Die Beratungsfirma half Jens nicht bei der Wohnungssuche. Eine finanzielle Unterstützung für den Umzug bekam er ebenfalls nicht. Dabei kann der Stress, der mit dem Umzug in ein anderes Land verbunden ist, ganz gehörig sein. Schon im eigenen Interesse wäre es gut, dem Neuankömmling etwas unter die Arme zu greifen.
Anna hingegen wurde Unterstützung bei der Wohnungssuche angeboten, und der komplette Transport ihrer Besitztümer wurde bezahlt. Das Resultat: In den Wochen vor Jobbeginn muss sich Anna nicht mit diesen Unannehmlichkeiten befassen. Stattdessen kann sie ausgeglichen und gut vorbereitet in den neuen Job starten. Doch das wirklich beeindruckende ist die Kultur in Annas neuem Team. In den Wochen vor Arbeitsbeginn bekam sie zahlreiche persönliche Willkommensnachrichten.
Die zukünftigen Kollegen drückten Anna ihre Freude aus und boten Unterstützung bei Annas Eintreffen in der neuen Heimat an. Annas Vorfreude war entsprechend hoch, ein Garant für gute Arbeitsqualität von Beginn an. Nicht jeder Arbeitgeber kann sich eine finanzielle Unterstützung des neuen Team-Mitglieds leisten. Doch die Kultur im Team macht den wirklichen Unterschied. Sie kostet praktisch nichts. Dennoch ist sie unbezahlbar. Bei der Suche nach High Potentials kann sie den Unterschied machen.
Das Onboarding so konzipieren, dass Übermorgengestalter bleiben
„Die Anforderungen, die ihr an uns junge Leute stellt, sind enorm: ein abgeschlossenes Studium, beste Noten, Auslandserfahrung, ein breites Wissen, Kreativpotenzial. Sind wir dann bei euch, werden wir als Erstes zurechtgestutzt und sollen uns an haarklein vorgeschriebene Abläufe halten, die aber nur auf dem Papier gut funktionieren.“ Das gab eine junge Teilnehmerin bei einer Konferenz den anwesenden HR-Leitenden mit.
Viele Top-Talente sind bereits nach den ersten Arbeitstagen dermaßen frustriert, dass sie das Unternehmen sofort wieder verlassen. Solche Frühfluktuation muss unbedingt eingedämmt werden, da sie erhebliche Kosten verursacht. Doch die Firmeninternen bekommen die wahren Gründe dafür meist gar nicht mit, weil es für sie völlig normal ist, die Neuen mit den „richtigen“, das heißt den unternehmensüblichen Verhaltensweisen vertraut zu machen. Und die sind teils aus dem letzten Jahrhundert.
Natürlich braucht es für die Neuankömmlinge einen Integrationsprozess, gerade am Anfang aber auch bereits Spielraum, um Eigeninitiative zu zeigen. Vorausdenker sollten sogar intensiv ermutigt werden, ihren noch unverstellten Blick konstruktiv einzusetzen. Was der/die Neue stattdessen lernt: bloß nicht anecken, in keine Tretminen stolpern, die Verhaltensregeln beachten, „die bei uns hier so gelten“, damit man die Probezeit gut übersteht. So fädeln sich viele notgedrungenerweise in die vorgefundene mehr oder weniger stark ritualisierte Betriebskultur ein.
Um stattdessen den Neueinsteiger-Effekt zu nutzen, könnte und sollte man es zur Bedingung machen, dass, wer die Probezeit bestehen will, bereits in den ersten Monaten eine Neuerungsinitiative oder eine Verbesserungsaktion gestartet haben muss, die idealerweise schon Erfolge zeigt. Und statt der am Ende der Probezeit üblichen Floskel: „Haben Sie sich gut eingelebt (= unsere Sitten und Gebräuche inkorporiert)?“ stünde dann folgende Frage: „Was konnten Sie denn bislang schon zum Besseren ändern?“
Tradierte Einstellungsprozesse brauchen „schöpferische Zerstörung“
Es braucht Störung und „schöpferische Zerstörung“ (Joseph Schumpeter), damit dem besseren Neuen der Durchbruch gelingt. Suchen Sie daher nicht nur Leute, die bloß die Position ausfüllen können, die gerade besetzt werden muss. Suchen Sie auch nach Generalisten – und nach Quereinsteigern. Ihre heterogenen Praxiserfahrungen, ihre diversen Fachkenntnisse und ihr Bildungshintergrund verschaffen den Unternehmen eine breite Palette möglicher Vorgehensweisen. Sie beugen der Betriebsblindheit vor. Sie sorgen für eine Frischzellenkur, für Blutauffrischung und Überkreuzbefruchtung.
Eine weitere wichtige Forderung lautet: Don’t hire yourself! Dabei sprechen wir meist von „Mini-Mes“ und dem Ähnlichkeits-Anziehungseffekt. Auch bei Beförderungen finden wir dieses Phänomen der „homosozialen Reproduktion“. Außenseiter kommen nur selten zum Zug. Führungskräfte unterstützen vor allem den Nachwuchs „vom gleichen Schlag“, das ist durch zahlreiche Untersuchungen gut belegt. Von Ähnlichkeit fühlen wir uns angezogen, weil wir uns darin wiedererkennen. Ähnlichkeit sorgt aber auch für das immer wieder Gleiche – und verhindert so neue Impulse.
Schließlich fördert das Bauchgefühl im Mitarbeiterauswahlprozess, auf das sich viele so gern berufen, vor allem den Konformismus – und nicht die Ausnahme, das Andersdenken und die Varianz. Auch Algorithmen sind hier keine Hilfe. Sie werden mit Daten von denen gefüttert, die man in der Vergangenheit suchte. So selektieren KI-gesteuerte Recruiting-Programme Klone der Kandidaten, die in früheren Bewerbungsprozessen erfolgreich waren – und eben genau nicht die Vorwärtsdenker und Übermorgengestalter, die wir in Zukunft so dringend brauchen.
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