Wie Sie hochqualifizierte, selbstbewusste Mitarbeiter führen
Je qualifizierter Mitarbeiter sind, umso selbstbewusster sind sie meist. Daher hinterfragen sie auch häufiger die Meinungen und Entscheidungen ihrer Chefs und wünschen sich eine Auseinandersetzung mit ihnen hierüber. Solche Mitarbeiter zu führen, fällt Führungskräften oft schwer.
Die Arbeitsstrukturen und -beziehungen in den Unternehmen haben sich verändert. Vor 20 Jahren wurden ihre Leistungen noch recht selten in funktions- und bereichsübergreifender Teamarbeit und Projektarbeit erbracht, heute hingegen ist diese Form der Zusammenarbeit zumindest in den Kernbereichen fast aller Unternehmen üblich.
Außerdem lautet ein Grundanforderung an die Mitarbeiter: Sie sollen ihre Aufgaben weitgehend eigeninitiativ und -verantwortlich wahrnehmen.
Das setzt voraus, dass die Mitarbeiter sich mit dem Unternehmen und ihren Aufgaben identifizieren – unter anderem, weil sie
- die gewünschte Wertschätzung erfahren,
- wissen, was die Ziele des Unternehmens sind, und
- ihr Tun als sinnvoll erfahren.
Dies erfordert wiederum einen anderen Führungsstil und ein verändertes Führungsverhalten.
Ein verändertes Führungsverhalten ist auch nötig, weil die Führungskräfte heute oft keinen fachlichen Wissens- und Erfahrungsvorsprung vor ihren Mitarbeitern mehr haben. Denn ihre Mitarbeiter sind nicht selten hochqualifizierte Spezialisten, die bezüglich gewisser Fachaufgaben ein größeres Know-how und Tiefenwissen als ihre disziplinarischen Vorgesetzten haben.
Entsprechend selbstbewusst sind diese Mitarbeiter – insbesondere, wenn sie wissen, dass das Unternehmen auf ihre Expertise angewiesen ist. Entsprechend selbstbewusst treten sie ihren Vorgesetzten entgegen, und in der Alltagskommunikation mit ihnen wollen sie die Wertschätzung spüren, die ihnen und ihrer Arbeit nach ihrer Auffassung gebührt. Sonst sinkt ihre Arbeitsmotivation, und im Extremfall wechseln sie den Arbeitgeber – speziell in einer Arbeitsmarktsituation wie der aktuellen, in der hochqualifizierte Spezialisten rar und gefragt sind.
Führungskräfte müssen mehr und anders kommunizieren
Solche selbstbewussten Mitarbeiter zu führen, fällt vielen Führungskräften schwer – auch, weil manche noch insgeheim das Credo verinnerlicht haben: Mitarbeiter müssen blind die Anweisungen ihrer Vorgesetzten befolgen. Das tun besagte Mitarbeiter aber nicht. Das gilt insbesondere für viele Angehörige der sogenannten Generation Y oder Why, die nach 1980 geboren sind und heute bereits das Rückgrat zahlreicher Unternehmen bilden. Mitarbeiter der Generation Y hinterfragen oft mehr oder minder offen die Anweisungen und Entscheidungen ihrer Führungskräfte. Zumindest wollen sie von ihrer Führungskraft eine in ihren Augen plausible Begründung haben, warum aus deren Warte gewisse Dinge nötig sind.
Für die Führungskräfte bedeutet dies: Sie müssen mehr und anders als früher mit ihren Mitarbeitern kommunizieren. Statt Top-down-Anweisungen ist heute ein Einbeziehen der Mitarbeiter in die Entscheidungsprozesse gefragt. Und wenn dies nicht möglich ist? Dann müssen die Führungskräfte zumindest akzeptieren, dass ihre Mitarbeiter außer ihren Entscheidungen zuweilen auch ihr Verhalten hinterfragen.
Zumindest theoretisch ist dies den meisten Führungskräften heute bewusst. Das bedeutet aber nicht, dass sie im Führungsalltag stets das richtige Führungsverhalten zeigen. Im Betriebsalltag registriert man oft, dass Führungskräfte gerade in Situationen, in denen sie selbst angespannt sind, ein Verhalten zeigen, das eher einem autoritären als partnerschaftlich-kooperativen Führungsstil entspricht. Dadurch verursachen sie nicht selten vermeidbare Konflikte in der Beziehung zu ihren Mitarbeitern.
Die Mitarbeiter „ticken“ sehr verschieden
Im Betriebsalltag registriert man zudem bei Teams, die aus vielen selbstbewussten Mitarbeitern bestehen, immer wieder: Mit einigen Mitarbeitern haben die Führungskräfte eigentlich nie Probleme; in der Beziehung zu anderen tauchen aber fortwährend Konflikte auf, weshalb die betreffenden Mitarbeiter von ihren Führungskräften gedanklich mit dem Etikett „schwierig“ versehen werden.
Analysiert man die Ursachen hierfür, stellt man oft fest: Stimmt die Beziehung Führungskraft-Mitarbeiter, dann haben die Führungskräfte meist
- ein ähnliches Wertesystem wie die Mitarbeiter, mit denen sie gut harmonieren, und/oder
- ihre Verhaltenspräferenzen korrespondieren mit den Erwartungen, die die Mitarbeiter aufgrund ihres Wertesystems an ihre Führungskraft haben.
Anders ist dies bei den „schwierigen Mitarbeitern“. Sie haben entweder ein anderes Wertesystem als ihre Führungskraft, weshalb ihnen bei der Arbeit (und im Leben) auch andere Dinge wichtig sind. Oder sie haben aufgrund ihres Wertesystems Erwartungen an ihre Führungskraft, die diese aufgrund ihrer Präferenzen nicht erfüllt.
Die unterschiedlichen Wertesysteme kennen
Die divergierenden Wertesysteme und Erwartungen bezüglich des Verhaltens wären im Betriebsalltag kein Problem, wenn diese den Führungskräften bewusst wären. Denn dann könnten sie sich hierauf einstellen. Viele Führungskräfte kennen aber ihr eigenes Wertesystem und ihre eigenen Verhaltenspräferenzen nicht. Und noch weniger kennen sie die Wertesysteme und die hieraus resultierenden Verhaltensmuster und Erwartungen ihrer Mitarbeiter. Dabei wird dies für das erfolgreiche Führen von Mitarbeitern immer wichtiger – nicht nur aufgrund der veränderten Arbeitsstrukturen und -beziehungen in den Unternehmen.
Darüber, ob die Menschen in den westlichen Industriestaaten heute individualistischer sind als vor 30, 40 Jahren, kann man streiten. Auf alle Fälle haben sich aber die Lebensstile in unserer Gesellschaft ausdifferenziert. Außerdem sind heute weniger Menschen bereit, fraglos irgendwelche nicht selbst gewählten Autoritäten zu akzeptieren. Zudem hat sich das Verhältnis der Berufstätigen zur Erwerbsarbeit verändert. Früher sahen die meisten Menschen in ihr ein notwendiges Übel, um den Lebensunterhalt zu sichern. Und die sogenannte „Selbstverwirklichung“? Sie erfolgte primär im privaten Bereich.
Anders ist dies heute – zumindest bei vielen hochqualifizierten Mitarbeitern. Für sie hat die Arbeit eine identitätsstiftende Funktion. Das heißt, sie wollen sich in ihrer Arbeit verwirklichen können und diese als sinnvoll erfahren. Sie stellen höhere Anforderungen an ihre Arbeit und somit ihre Führungskräfte. Und die Führungskräfte? Sie stehen vor der Herausforderung, diese zu erfüllen, damit sich ihre Mitarbeiter mit ihrer Arbeit identifizieren können und die gewünschte Leistung bringen.
Angemessen auf die individuellen Bedürfnisse reagieren
Das setzt voraus, dass die Führungskräfte ihr eigenes Wertesystem kennen. Sonst besteht die Gefahr, dass sie ihre Werte-Messlatte bei allen anderen Menschen anlegen. Zudem können sie nur dann ermitteln, wo ihre „blinden Flecken“ sind, weshalb sie zum Beispiel auf gewisse Verhaltensweisen ihrer Mitarbeiter allergisch reagieren.
Führungskräfte sollten, wenn sie ihre Mitarbeiter individuell, das heißt ihren Bedürfnissen entsprechend, führen möchten, zudem wissen:
- Wie „tickt“ mein Mitarbeiter?
- Wie sieht die Welt durch seine „Brille“ aus? Und:
- Was braucht er, um seine Leistungsfähigkeit zu entfalten?
Denn nur dann können Führungskräfte ihr Führungsverhalten wirklich dem Gegenüber anpassen. Außerdem können sie nur dann mit jedem Mitarbeiter eine tragfähige Vereinbarung schließen, was dieser braucht, um seine Arbeit als befriedigend, weil sinnstiftend und mit seinem Wertesystem korrespondierend, zu erfahren.
In vielen Unternehmen besteht ein Bedarf, die Kompetenz der Führungskräfte in diesem Bereich zu schulen – speziell in solchen, die sich zu High-Performance-Organisationen entwickeln möchten, die sehr agil auf Marktveränderungen und veränderte Kundenanforderungen reagieren. Denn dieses Ziel lässt sich nur mit hochqualifizierten, selbstbewussten Mitarbeitern erreichen, die sich voll mit ihrer Arbeit und den Zielen des Unternehmens identifizieren. Und diese Mitarbeiter erwarten eine individuelle, das heißt eine sie als Person wahrnehmende und wertschätzende Führung.
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