Wie Start-Ups die nächste Konjunkturwelle reiten
Pioniere gefragt

Wie Start-Ups die nächste Konjunkturwelle reiten

Porträtfoto von Karl Hitschmann, Gründer von Business Design, einer Beratungsfirma
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Der grundlegende Wandlungsprozess unserer Gesellschaft findet unabhängig von der aktuellen COVID-19 Krise gerade statt und wird konsequenterweise auch unser Verständnis von Wirtschaft verändern. Führungskräfte und Gründer:innen mit menschenzentrierten Denk- und Handlungskonzepten werden zu aktiven Gestaltern dieses Systemwandels – sogenannte Wellenreiter.

Die Sozioökonomie als systemische und multidisziplinäre Betrachtungsweise, setzt sich mit dem Wechselspiel zwischen wirtschaftlichem Handeln und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auseinander. Sie sieht Gesellschaft und Wirtschaft nicht als voneinander unabhängig, die beiden bedingen und beeinflussen sich vielmehr wechselseitig. Damit wird das soziale Verhalten der Menschen zur Grundlage und wesentlichen Komponente des Wirtschaftens.

Lange Wirtschaftswellen

Bahnbrechende Innovationen, die Gesellschaft und Wirtschaft grundlegend verändern, treten in regelmäßigen Abständen von rund 40 bis 60 Jahren auf. Derartige Neuerungen – dazu zählen beispielsweise die Dampfmaschine, die Eisenbahn, die Automobilität und aktuell die Digitalisierung – bewirken lange Wellen des wirtschaftlichen Auf- und Abschwungs. Diese Wellen gehen gleichzeitig auch immer mit radikalen Strukturveränderungen in der Gesellschaft einher.

Wir stehen gerade am Beginn einer neuen, völlig anderen Welle. Denn während bislang immer bahnbrechende Technologien zum Auslöser für einen nächsten Zyklus wurden, ist diese neue Welle erstmals nicht technologiegetrieben, sondern menschenzentriert. Das heißt, sie stellt den Menschen und seine sozialen Interaktionen in den Mittelpunkt. Das erfordert von Organisationen und ihren Führungskräften allerdings völlig neue Denk- und Handlungsmuster. Das kann in der Übergangsphase beim Aufeinanderprallen zweier grundlegend verschiedener Führungs- und Managementverständnisse durchaus zu Chaos und Ratlosigkeit führen.

Start-Ups der Digitalisierungswelle

Start-Ups finden ihre Märkte generell dort, wo unerfüllte gesellschaftliche Bedürfnisse existieren. Die dabei zugrundeliegende Haltung von Gründer:innen ist daher von vorn herein durch eine gewisse Neugierde am menschlichen Verhalten und ein Basisinteresse an der Gestaltung einer besseren Welt gekennzeichnet. Bisher haben viele erfolgreiche Start-Ups, die während der langen Welle der digitalen Transformation gegründet wurden, ihre Innovationskraft vor allem dem Einsatz von neuen, digitalen Technologien zu verdanken.

Der Einsatz derartiger Technologien wird sicherlich auch in Zukunft notwendig sein, denn sie werden sich nicht nur weiterentwickeln, sondern ihre Anwendungsmöglichkeiten werden sich ebenfalls verbessern – Stichwort AI. Gleichzeitig werden digitale Innovationen jedoch zum Allgemeingut, zu völlig selbstverständlichen Basistechnologien – so wie es heute die beiden ehemaligen Basisinnovationen Auto oder Flugzeug bereits sind.

Wie werden Start-Ups in Zukunft erfolgreich?

Damit stellt sich für Start-Ups die entscheidende Frage, woraus sie in Zukunft ihre Innovationskraft beziehen werden, denn der Einsatz und die Entwicklung digitaler Lösungen allein wird nicht mehr ausreichen. Die neuen Bedürfnisse, für die unsere Gesellschaft skalierbare Lösungen brauchen wird, gehen vielmehr in eine andere Richtung: sie dienen der Förderung psychosozialer Gesundheit.

Der Gesundheitssektor wird zur neuen Leitindustrie der kommenden Wirtschaftswelle. Der Begriff „psychosoziale Gesundheit“ wird dabei umfassend interpretiert und beinhaltet weit mehr als das Aufrechterhalten gesunder körperlicher Funktionen. Dazu gehört auch das psychologische und soziale Wohlbefinden, das unter anderem durch Faktoren wie ein stabiles Selbstwertgefühl, die Fähigkeit soziale Beziehungen zu pflegen und eine sinnstiftende Tätigkeit erreicht werden kann.

Für Start-Ups bedeutet das, über den bisherigen Ansatz der reinen Digitalisierung von biologischen Parametern, worauf sich aktuelle Gesundheits-Apps fokussieren, hinauszudenken. Ein noch unterwickeltes und damit freies Spielfeld sind hingegen Angebote, bei denen sich individuelle Personen psychisch und emotional weiterentwickeln und ihre sozialen Kompetenzen stärken können. In diesem Bereich klafft in der heutigen medizinische Grundversorgung ebenso eine Lücke wie in unserem bestehenden Schul- und Ausbildungssystem.

Erste professionelle Ansätze im Start-Up Umfeld lassen sich dazu bereits bei Online-Coachingangeboten erkennen. Die Richtung stimmt, aber diese Angebote sind bei weitem noch nicht ausgereift und skalierbar. Daher müssen Gründer:innen sich auf ihre Ur-Kompetenz besinnen und mit Neugierde und Verbesserungswillen die psychosozialen Bedürfnisse der Gesellschaft aufspüren und dafür entsprechende, innovative Angebote ausarbeiten.

Entropische Kosten in der Wirtschaft und Gesellschaft

Und Bedarf gibt es reichlich! Wenn es auch nicht jeder oder jedem von uns bewusst ist, so leiden wir als Gesellschaft stark unter der sogenannten „sozialen Unordnung“, die sich aus Neid, Angst, Missgunst, Gleichgültigkeit und Egoismen heraus entwickelt hat. Genauso wie Henry Ford angeblich den Bedarf nach schnelleren Pferdekutschen decken wollte und dann doch das Automobil entwickelt hat, so sehen wir uns aktuell mit dem Bedarf nach mehr Sicherheit und Stabilität konfrontiert – und werden keines von beiden mit den bisherigen Rezepten und Verhaltensweisen erhalten. Wir stehen vor einer sozioökonomischen Transformation, deren Aufgabe es sein wird, dieser sozialen Unordnung mithilfe einer psychosozialen Gesundung der Menschen entgegenzutreten.

Denn die soziale Unordnung kostet unsere Gesellschaft wie auch unsere Wirtschaft hohe Geldsummen. Denken wir dabei nur an die enormen Aufwände für die Erhaltung von Recht und Ordnung durch die Gesetzgebung einerseits aber auch – und noch viel teurer – durch die Exekutive zur Durchsetzung dieser Gesetze andererseits. Denken wir aber auch an die stark steigenden Kosten für die Bekämpfung von Wirtschafts- und Cyberkriminalität und die zunehmenden Aufwände der Allgemeinheit zur Minderung der Folgen von Kriegen und Klimawandel, wie beispielweise zur Versorgung von Flüchtlingen. Das sind alles sogenannte „entropische Kosten“, die wir nicht durch Bekämpfen der Symptome, sondern nur durch die Beseitigung ihrer grundlegenden Ursachen in den Griff bekommen können. Und diese sind psychosozialer Natur.

Betätigungsfeld für Start-ups

Wie können uns neue, stark skalierbare Angebote dabei unterstützen, dass wir zu psychosozial gesünderen Menschen werden? Und dass wir dazu die notwenigen sozialen Kompetenzen, wie Empathiefähigkeit und emotionale Stabilität erlangen? Hier bietet sich ein breites Betätigungsfeld für Start-Ups, die damit nicht nur den neuen, heranwachsenden Bedürfnissen der Gesellschaft nach Frieden, Klimasicherheit und Stabilität nachkommen, sondern damit auch volks- und realwirtschaftliche Effekte durch Beseitigung der entropischen Kosten erzielen. Gelingt es uns, das als Gesellschaft umzusetzen, so wird davon auch die Wirtschaft profitieren, die durch die damit erzielten Einsparungen eine neue Produktivitätsebene erreichen kann – und auf diese Weise einen neuen, langanhaltenden Wirtschaftsaufschwung auslöst.

Die nächste Welle erfolgreich reiten

Es braucht in Zukunft eine völlig neue Denkweise und neue Fähigkeiten, um die Wettbewerbsvorteile dieser neuen Welle optimal zu nutzen. Wellenreiter erkennen das Potenzial, das im Wissen um soziale Systeme verborgen liegt und sie eignen sich die passenden Werkzeuge dafür an.

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Foto/Thumbnail: ©Depositphotos.com

Über die Autoren

Porträtfoto von Karl Hitschmann, Gründer von Business Design, einer Beratungsfirma

Karl Hitschmann Karl Hitschmann ist MBA CMC und langjähriger Experte für die systemische Geschäfts- und Organisationsentwicklung. Mit BUSINESS DESIGN begründete er eine Agentur, die namhaften Unternehmen dabei hilft neues Wachstum zu erzielen, Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und ihre Organisationen zu verändern. www.business-design.biz 
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Porträtfoto von Dr. Anja Kossik, Geschäftsführerin der PromiseIBC, einem Consultingunternehmen

Dr. Anja Kossik Dr. Anja Kossik ist MSc und Geschäftsführerin der PromiseIBC und seit über 10 Jahren als systemische Organisationsberaterin tätig. Sie veröffentlicht regelmäßig Erkenntnisse zu einer nachhaltigeren und menschenzentrierteren Unternehmensführung aus ihrer beruflichen und wissenschaftlichen Arbeit. www.promise-ibc.com
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