Alessandro Quaranta: „Das Leben ist formbar – es liegt in unseren Händen”
Alessandro Quaranta ist Gründer und CEO von form.bar, dem Start-up, bei dem Möbel, genau nach persönlichen Wünschen, online gestaltet und regional mit Schreinern vor Ort gefertigt werden. Wir sprechen über seine Vision, über die Herausforderungen in der Corona-Krise und warum die Founder zweimal bei der VOX-Sendung "Höhle der Löwen" abgesagt haben.
Name: Alessandro Quaranta
Titel: Diplom-Kaufmann
Geburtsjahr: 1981
Position: Gründer und CEO von form.bar
Weitere Gründungen: Online-Reiseagentur, Modelabel
Vita: Alessandro Quaranta hat an der Universität des Saarlandes und der Università degli Studi di Siena Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkten in Medien- und Kommunikationsmanagement, Wirtschaftsinformatik sowie International Managerial Economics studiert. Seine Diplomarbeit beschäftigt sich mit „Qualitätsmanagement als Grundlage der internationalen Wettbewerbsfähigkeit von Hochschulen“. Bereits während seines Studiums gründete er zunächst eine Online-Reiseagentur, später ein Modelabel für Herrenoberbekleidung mit Auftragsarbeiten nach Maß sowie eigenen Kollektionen, die in Deutschland, Frankreich und Italien verkauft wurden. Mehrere Jahre war Alessandro Quaranta an der Universität des Saarlandes zudem Dozent für Business Simulations und Referent in der Wissens- und Technologietransferstelle sowie Berater für Existenzgründungen. Er ist weiterhin als Gründungsbotschafter des Saarlandes ehrenamtlich tätig und hält regelmäßig Vorträge zu Themen wie Digitalisierung, E-Commerce, smarte Individualisierung oder nachhaltige Entwicklung.
Lebensmotto: Das Leben ist formbar – es liegt in unseren Händen.
Über das Unternehmen
Ursulinenstraße 35
66111 Saarbrücken
Was ist das Geschäftsmodell Ihres Unternehmens?
Möbel, genau nach persönlichen Wünschen, online gestaltet, weltweit regional gefertigt: Mit der Design-Plattform form.bar (www.form.bar) haben wir ein völlig neuartiges, nachhaltiges Geschäftsmodell in der Möbelbranche etabliert. Dank einer vielfach preisgekrönten 3D-Software und der klimafreundlichen Fertigung im größten Schreiner-Netzwerk Europas hat sich form.bar zu einem Pionier der Digitalisierung des Handwerks und zum führenden Anbieter für individuelle Möbel entwickelt.
Herzstück von form.bar ist ein hoch komplexer, aber leicht zu bedienender 3D-Konfigurator, mit dem sich Möbel ohne Vorkenntnisse frei formen lassen. Mit diesem Werkzeug kann jeder seine Vorstellungen vom perfekten Möbel spielerisch umsetzen – so entstehen Regale, Schränke und mehr, die so einzigartig wie ein Fingerabdruck sind. Ist das Möbel online fertig designed, erstellt form.bar ein Zuschnittmuster für eine CNC-Fräse und übermittelt die Daten an einen der 100 Kooperationspartner, regionale Schreiner in Kundennähe.
Erst kommt die Vision, dann die Gründung. Wie sind Sie auf Ihre Geschäftsidee gestoßen?
Wie so oft war auch bei form.bar der Anfang einer guten Idee ein Problem. Ich hatte vor Jahren die Aufgabe, mich um die Einrichtung eines sehr engen Ladenlokals an der Universität des Saarlandes zu kümmern. Doch mit herkömmlichen Regalen kam ich einfach nicht weiter, sie passten nicht oder waren utopisch teuer. Irgendwann fragte ich dann meinen alten Schulfreund Nikolas Feth um Rat. Er ist Architekt und forschte damals an Leichtbauteilen und Bionik. Zusammen fanden wir eine bezahlbare, zugleich aber spektakuläre Lösung, für die wir mit Komplimenten überhäuft wurden. Da wurde uns schlagartig klar, welche Möglichkeiten die Digitalisierung bietet, um individuelle Möbel-Wünsche direkt mit regionalen Schreinern zu vernetzen. Die entscheidende Idee für form.bar kam uns tatsächlich nachts beim Bier. Und dann tüftelten wir, diskutierten, Tage, Nächte. Nach fast zweijähriger Entwicklungszeit mit vielen Höhen und Tiefen war klar, dass wir es schaffen werden: Möbel nach persönlichen Wünschen, online designed, und – das war uns von Anfang an sehr wichtig – immer regional gefertigt und deshalb besser für die Umwelt und das Klima.
Neben einer guten Idee spielt auch die Team-Zusammensetzung oft eine entscheidende Rolle. Wie setzt sich das Team bei Ihnen zusammen?
Es stimmt: Das Wichtigste sind die Menschen hinter der Idee. Denn die beste Geschäftsidee ist nichts ohne das Team, das sie umsetzt. Bei form.bar sind wir stolz auf ein ebenso interdisziplinäres wie internationales Team aus Architekten, Designern, Informatikern, 3D-Spezialisten, Marketingexperten und Informationswissenschaftlern. Auf unserer spannenden Möbel-Mission begleiten uns inzwischen mehr als 20 Leute, zum Beispiel auch aus Mexiko und Brasilien. Dazu kommen die vielen Partner in den Schreinereien und Tischlereien vor Ort, oft sind das kleinere Familienbetriebe.
Wie differenzieren Sie sich von Ihren Wettbewerbern?
Immer nur das, was wirklich gebraucht wird: Auf diesen einen Satz lässt sich das form.bar-Konzept zuspitzen. Wir stellen anders als der Wettbewerb keine Möbel her, um sie in Ausstellungen zu zeigen und darauf zu hoffen, dass sie jemand kaufen will. Wir stellen nur genau die Möbel her, die sich unsere Kunden wünschen, genau nach ihren individuellen Vorstellungen, alles on demand.
Und: Dank Digitalisierung versenden wir keine physischen Produkte mehr, sondern Daten. Statt Möbel aufwändig verpackt um den Globus zu schicken, nutzen wir vorhandene Kapazitäten von Schreinern in Kundennähe, um regionale Wunschmöbel zu fairen Preisen zu ermöglichen. Die dezentrale Fertigung ist ein bedeutendes Alleinstellungsmerkmal von form.bar, aber auch unsere 3D-Echtzeit-Software ist weiterhin konkurrenzlos. So wird wahre Individualisierung möglich, absolut freie Formbarkeit, das heißt, es geht wirklich um Gestaltung, nicht nur um ein rechteckiges Möbel, das fünf Zentimeter breiter und sieben Zentimeter höher wird. Das bietet den Riesenvorteil, dass man jeden Raum optimal nutzen kann. Enge Flure, hohe Decken, ergonomische Bedürfnisse: Unsere Möbel passen sich an. Das ist natürlich gerade in Zeiten von knappem Wohnraum in den Städten interessant. Mit unserer Technologie können sehr besondere Möbel zu wettbewerbsfähigen Preisen regional und klimafreundlich gefertigt werden: Dieses Paket bietet niemand sonst.
Was war Ihre Motivation Unternehmer zu werden?
Zu erkennen, dass sich Dinge ändern lassen und diese Dinge zu ändern und zu verbessern. Das Leben ist voller Chancen, als Unternehmer kann man diese Chancen ergreifen.
Welche unternehmerischen Ziele haben Sie für die nächsten 3 Jahre?
Wir wollen die führende Online-Plattform für individuelles Möbeldesign werden. Nicht nur wie bereits jetzt in Deutschland, sondern auch in Europa und weiteren Ländern der Erde. Schon heute sind wir zum Beispiel in Südafrika, Kanada und Brasilien vertreten. Weil unser nachhaltiges Geschäftsmodell praktisch unendlich skalierbar ist und wir viele Prozesse bereits für die weitere Internationalisierung optimiert haben, wollen wir die Chance nutzen, um weltweit nah an unsere Kunden heranzurücken und damit Transportwege zu verkürzen, die Umwelt zu schonen sowie die Wertschöpfung in den Regionen zu steigern. Konkret wollen wir den Jahresumsatz verzehnfachen und unser Netzwerk an Partner-Schreinereien nochmals deutlich vergrößern.
Was waren die größten Herausforderungen in der Gründungsphase?
Die Finanzierung für die Entwicklung der technologiebasierten Plattform. Ansonsten ist es uns gut gelungen, mit der außergewöhnlichen und nachhaltigen Idee wichtige Menschen für die Gründung zu gewinnen – als Teammitglieder und als Partner. Gerade im Saarland, wo die Wege kurz sind, kann man für die erste Gründungsphase relativ schnell Unterstützer finden.
Bei der „Höhle der Löwen“ haben Sie zweimal abgesagt. Was waren die Gründe?
Natürlich war das Angebot verlockend, in der „Höhle der Löwen“ aufzutreten. Die Show ist cool und eine gute Gelegenheit, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die waren auch absolut begeistert, hätten uns wirklich gerne in der Show gehabt. Aber für uns ist es nicht das Wichtigste, schnell die Werbetrommel zu rühren. Wir wollen mit unserem besonderen Konzept in der Möbelwelt nachhaltig etwas verändern und treffen daher auch nachhaltige Entscheidungen. Was am Ende gegen die „Höhle der Löwen“ gesprochen hat, war das Vertragswerk mit rigiden Vorgaben und die lange Zeit zwischen Aufzeichnung und Ausstrahlung. Wir waren damals in fortgeschrittenen Gesprächen mit einem Investor, eine Änderung der Gesellschafterstruktur aber erlaubte der Vertrag für einen sehr langen Zeitraum nicht. Daher haben wir abgesagt, auch wenn das alles andere als eine leichte Entscheidung war. Klar, die Macher waren auch „not amused“, schließlich kommt so etwas extrem selten vor. Richtig sauer wurden die Produzenten dann, als wir auch für einen zweiten möglichen Termin nicht zur Verfügung standen. Aber: Im Nachhinein war es absolut richtig. Wir haben unser Ding auch ohne Löwen durchgezogen.
Wie wirkt sich die Corona-Krise auf Ihr Unternehmen aus und wie wollen Sie diese meistern?
Corona war für uns auch eine Chance. 2020 lief tatsächlich besser als geplant, teilweise deutlich besser. Unser Team ist gewachsen, unser Schreiner-Netzwerk ist ebenfalls nochmals größer geworden, wir hatten mehr neue Designs und Kunden als je zuvor, neue Rekordumsätze. Klar, wegen Corona mussten wir unsere Arbeitsweise umstellen, uns umorganisieren. An sich war der Umzug ins Home-Office aber keine große Herausforderung, weil wir ohnehin digital aufgestellt sind. Dennoch haben wir die neue Situation dafür genutzt, um Prozesse besser zu machen und auch das ganze Team so auszustatten, auch technisch, dass jeder optimal arbeiten kann und unsere Kunden optimal beraten werden.
Ein Unternehmen zu gründen und zu expandieren kostet Geld. Wie finanzieren Sie sich?
In erster Linie über die Einnahmen, die wir mit der Plattform www.form.bar realisieren, das heißt über jedes einzelne verkaufte individuelle Möbel. Zusätzlich haben wir Lizenzmodelle für Schreiner und internationale Partner. Darüber hinaus finanzieren wir uns über Investments und Förderungen.
Ist für Sie eine Partnerschaft mit Venture-Kapitalgebern eine Option?
Ja.
Welchen Tipp möchten Sie an andere Gründer gerne weiter geben?
Möglichst schnell konkret werden. Und die Interessen und Möglichkeiten aller Beteiligten ausloten und klarstellen.
Ist Ihr Team bereits vollständig oder suchen Sie aktuell noch freie und/oder feste Mitarbeiter?
Wir wachsen weiter und suchen immer gute Leute, die mit uns einen spannenden Weg gehen wollen.
Warum sollten Fach- und Führungskräfte sich bei Ihrem Unternehmen bewerben?
Weil man bei uns wirklich etwas bewegen kann. Wir haben flache Hierarchien, begegnen uns alle auf Augenhöhe und jede und jeder hat die Möglichkeit, Ideen einzubringen und umzusetzen, wenn sie das Team überzeugt. Immer mit dem großen Ziel, die Möbelbranche nachhaltig zu verändern, gerechter, klimafreundlicher und digitaler zu machen.
Stellen Sie sich vor, Sie treffen den Bundeswirtschaftsminister. Was würden Sie sich für den Wirtschaftsstandort Deutschland bei ihm wünschen?
Tatsächlich haben wir schon zwei Wirtschaftsminister getroffen in den vergangenen Jahren, die Herren Gabriel und Altmaier. Bei einer Preisverleihung hat mir Herr Gabriel sogar mal das Mikro aus der Hand genommen, sehr freundlich natürlich, ich hatte wohl zu sehr von den Vorzügen des Saarlandes geschwärmt… Für den Wirtschaftsstandort Deutschland wünsche ich mit, dass die teilweise schon guten Strukturen weiter ausgebaut werden, dass Förderungen verstärkt, Hürden abgebaut, Bearbeitungszeiten verkürzt und Netzwerke verbessert werden, um einen einfacheren Austausch zu ermöglichen. Und es braucht insgesamt mehr Startkapital für Gründerinnen und Gründer.
Welche Person hat Sie in der Gründungs- und Wachstumsphase besonders unterstützt? Bei wem möchten Sie sich bedanken?
Bei den vielen Freunden, denen wir von unserer Idee erzählt und die uns ermutigt haben. Ich rate dazu, schon vor der Gründung mit möglichst vielen Leuten darüber zu reden, auch wenn das Feedback vielleicht nicht immer positiv ist. Auch die engagierten Menschen der KWT, der Kontaktstelle für Wissens- und Technologietransfer der Universität des Saarlandes, haben uns gerade am Anfang sehr unterstützt. Zu danken haben wir natürlich auch unseren Gesellschaftern Professor August-Wilhelm Scheer und Dominik Holzer.
Mit welcher Persönlichkeit würden Sie gerne einmal zum Dinner gehen und warum?
Mahatma Gandhi. Leider ist dieses Dinner nicht mehr möglich. Aber was er geleistet hat, wie er gegen Widerstände gekämpft hat, ist für mich beispiellos. Er hat es ohne Waffen und Gewalt geschafft, die Welt zu verändern. Weil er immer an Frieden und Freiheit geglaubt hat und ganz viele Menschen von seinen Ideen überzeugen konnte.
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