Veränderte Bedingungen verlangen veränderte Kommunikation
Unternehmensführung

Veränderte Bedingungen verlangen veränderte Kommunikation

Bild von Michael Schwartz
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Die Industrie offeriert uns permanent neue Produkte und Dienstleistungen, die uns angeblich helfen, Zeit zu sparen. Doch je intensiver Personen und Organisationen diese nutzen, umso stärker stehen sie scheinbar unter Zeitdruck. Und die Kommunikation? Sie reduziert sich zunehmend auf eine wechselseitige Information – sofern wir dieser Entwicklung nicht entgegen wirken.

„Alles wird mir zu viel.“ Dieses Gefühl haben immer mehr Arbeitnehmer. Sie wissen zunehmend nicht mehr, wie sie alle Anforderungen, die beruflich und privat an sie gestellt werden, unter einen Hut bringen sollen. Ähnlich geht es den Top-Entscheidern in vielen Unternehmen. Auch sie wissen immer weniger, wie sie die zahllosen Herausforderungen, vor denen ihre Organisation steht, mit den vorhandenen Ressourcen in der nötigen Zeit bewältigen sollen – weshalb auch immer häufiger Seminare zu solchen Themen wie „Komplexität…“ oder „Dilemmata managen“ angeboten werden.

Hightech – Fluch und Segen

Der zentrale Treiber dieser Entwicklung ist der technische Fortschritt insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie. Er machte neben der Globalisierung ganz neue Geschäftsmodelle möglich. Er veränderte zudem unsere Art zu arbeiten und zu kommunizieren so radikal, dass heute die moderne Informations- und Kommunikationstechnik sozusagen ein permanenter Wegbegleiter von uns ist – beruflich und privat.

Das Paradoxe daran ist: All diese Produkte, wie Computer, Handy & Co, wurden uns mit dem Versprechen offeriert, sie würden uns helfen, Zeit zu sparen, und unser Leben erleichtern. Das tun sie auch! Trotzdem erscheint es so, als würden wir, je intensiver wir sie nutzen, umso stärker unter Zeitdruck stehen und uns gleich Hamstern in einem Laufrad drehen. Ähnlich verhält es sich in den Unternehmen. Obwohl in ihnen heute fast alle Geschäftsprozesse IT-gestützt ablaufen, haben sie zunehmend das Gefühl: Wir können mit den Marktveränderungen immer schwieriger Schritt halten. Daher „nähen“ sie vieles, getreu dem Pareto-Prinzip „Oft genügt eine 80-Prozent-Lösung“ auf „Kante“, wodurch die Risiken steigen – was zum Beispiel die gestiegene Zahl der Rückrufaktionen zeigt.

Viele Produkte, die uns helfen sollen, Zeit zu sparen, bewirken offensichtlich bei einer intensiven Nutzung und Nutzung auf breiter Front das Gegenteil. Ein Beispiel hierfür sind die E-Mails. Eine Mail ist schneller geschrieben als ein Brief – auch weil man sie nicht eintüten und zur Post bringen muss. Doch die Leichtigkeit und Bequemlichkeit, mit der man Mails verfassen und versenden kann, führt – verknüpft mit den niedrigen Kosten – zugleich zu einem permanenten Anschwellen der E-Mail-Flut. Mit der Konsequenz, dass Führungskräfte heute im Schnitt circa 1,5 Stunden täglich mit dem Bearbeiten ihrer Mails beschäftigt sind. Zudem müssen sie, da sie per Mail permanent über irgendwelche Dinge informiert und somit in diese involviert werden, im Arbeitsalltag mehr Dinge beachten, was auch das Gefühl einer Überforderung forciert. Hinzu kommt: Weil die Mails binnen Sekunden befördert und zugestellt werden, erwarten ihre Absender auch eine schnellere Antwort als bei einem postalischen Brief. Das heißt: Das, was ursprünglich die Arbeit erleichtern sollte und dies oft auch tut, verursacht vielfach Stress und Zeitdruck.

Highspeed – der Takt der neuen Zeit

Ähnlich verhält es sich auf der organisationalen Ebene. Denn die Vorzüge der modernen (Informations- und Kommunikations-)Technologie können alle Unternehmen nutzen, um ihre Prozesse zu optimieren – sprich zu beschleunigen und kostengünstiger zu gestalten. Das führt dazu, dass in der gesamten Wirtschaft die Geschäftsprozesse immer schneller und die Innovationszyklen stets kürzer werden, und der effektive Umgang mit der Zeit zunehmend ein Erfolgsfaktor wird – was auch moderne Managementbegriffe wie „Just-in-time“ und „time-to-market“ belegen.

Auf den wachsenden Zeitdruck reagieren viele Menschen privat, indem sie ihr häusliches Umfeld noch stärker technisieren, so dass zum Beispiel fortan ihre Gärten auf Knopfdruck gewässert und ihre Rollläden in der Dämmerung automatisch geschlossen werden. Außerdem praktizieren sie zunehmend ein Multitasking, versuchen, mehrere Dinge parallel zu tun. Dabei belegen Studien, dass wir Menschen schlechte Multi-Tasker sind. Denn Multitasking bedeutet stets, seine Aufmerksamkeit zu teilen – was zu mehr Fehlern und einem häufigeren und schnelleren Vergessen führt.

Multitasking prägt den Lebens- und Arbeitsalltag

Auch in den Unternehmen ist das Multitasking inzwischen gängige Praxis. Das bringen schon die modernen Arbeitsstrukturen mit sich. Heute haben nur noch sehr wenige Arbeitnehmer eine Stellenbeschreibung mit genau definierten und abgegrenzten Aufgaben. Sie sollen vielmehr im Team mit Kollegen gewisse Ziele erreichen. Das heißt, sie sind bei ihrer Arbeit auch von der Zuarbeit von Kollegen abhängig und müssen häufiger auf Anliegen von ihnen reagieren. Mit der Konsequenz, dass sie, während sie zum Beispiel am PC eine Aufgabe bearbeiten, regelmäßig ihre Mails lesen, ob etwas Dringendes zu erledigen ist. Entsprechend schwer können sie ihren Arbeitstag planen. Eine weitere Folge ist, dass sie meist mehrere Aufgaben parallel bearbeiten – und anderem, weil sie zwischenzeitlich immer wieder auf den Input oder das Okay von Kollegen brauchen. Entsprechend viele Bälle müssen sie oft zugleich jonglieren. Das kostet Konzentration und produziert oft Stress.

Entsprechendes gilt auf der organisationalen Ebene. Früher galt zum Beispiel bei Organisationsentwicklern die Maxime: Nach einem Veränderungsprojekt sollte in einem Unternehmen einige Zeit Ruhe herrschen, damit sich der neue Ist-Zustand festigen kann und die Mitarbeiter Zeit zum Verschnaufen haben. Diese guten, alten Zeiten sind vorbei. Heute befinden sich zumindest die meisten größeren Unternehmen in einem permanenten Umbruch. In ihnen laufen so viele, sich überlappende (Veränderungs- und Innovations-)Projekte parallel, dass das sogenannte Multi-Projekt-Management sich zu einer neuen Schlüsselkompetenz entwickelt hat. Entsprechend schwer fällt es den Unternehmen auch zunehmend, ihren Erfolg zu steuern, weil sich die Rahmenbedingungen permanent wandeln. Deshalb kann sich das Top-Management bei seinen Entscheidungen oft nur noch auf Annahmen und Szenarien stützen, was häufig Kurswechsel oder -korrekturen nötig macht.

Persönliche Beziehungen und Kontakte leiden

Das Leben und Arbeiten in einem solchen Umfeld hat weitreichende Konsequenzen. Studien belegen zum Beispiel, dass Ehepartner immer weniger miteinander und mit ihren Kindern kommunizieren. Und die Zeit, die sie einander schenken? Sie ist oft zudem eine geteilte Zeit, weil sie zugleich mit anderen Dingen beschäftigt sind.

Ähnlich verhält es sich in Unternehmen. Sie betonen zwar regelmäßig, ihre Führungskräfte seien für die Entwicklung ihrer Mitarbeiter (mit-)verantwortlich. Fakt ist aber: Während die Zeit, die Führungskräfte mit dem Beantworten von Mails verbringen, kontinuierlich steigt, sinkt zugleich die Zeit, die sie für Face-to-face-Gespräche mit ihren Mitarbeitern aufwenden – auch weil heute in vielen Unternehmen der größte Teil der internen Kommunikation und somit auch Mitarbeiterführung per Mail erfolgt.

Sehr eindrücklich erfährt man, wie stark sich das Kommunikations- und Arbeitsverhalten verändert hat, auch als Trainer bei Seminaren. Früher standen die Teilnehmer in den Seminarpausen beieinander und tauschten sich bei einer Tasse Kaffee über das gerade Gehörte oder Erlebte und ihre Praxiserfahrungen aus. Heute ziehen sie sich in eine stille Ecke zurück und checken ihre Mails und Anrufe, um dann hierauf zu reagieren. Und während sie früher abends in der Bar beisammen saßen, begeben sie sich heute auf ihre Zimmer, um dort zu arbeiten (oder alleine irgendetwas anderes zu tun).

Dadurch geht ein Teil der Muße verloren, die für ein Lernen und für das Verarbeiten von Neuem nötig ist. Verloren geht zudem etwas, was früher auch die Qualität eines Seminars ausmachte: Vernetzung. Das heißt: Zwischen den Teilnehmern entstehen keine sozialen Kontakte und Beziehungen mehr, die oft auch nützlich für den Arbeitsalltag wären.

Kommunikation wird auf Information reduziert

Ähnliches gilt für Unternehmen. Auch hier geht dadurch, dass die Kommunikation zunehmend per Telefon und Mails erfolgt, viel Zwischenmenschliches verloren. Denn es macht einen qualitativen Unterschied, ob man nur die Mail einer Person liest oder ihr gegenüber sitzt, ihr in die Augen blickt und ihre körperlichen Reaktionen wahrnimmt und hierauf reagiert. Das schafft eine ganz andere Qualität der Beziehung sowie des wechselseitigen Verstehens; außerdem eine andere Art von Verbindlichkeit. Deshalb ist es kein Zufall, dass bei der elektronischen Kommunikation viel häufiger Konflikte entstehen und eskalieren.

In der persönlichen Kommunikation lassen sich Menschen auch leichter als Mitstreiter gewinnen. Deshalb ist es problematisch, wenn sich zum Beispiel die Top-Manager eines Unternehmens kaum noch die Zeit nehmen, um Mitarbeiter persönlich über geplante Veränderungen zu informieren und die Information stattdessen per Mail erfolgt.

Fakt ist: In vielen Unternehmen wird heute die zwischenmenschliche Kommunikation weitgehend auf eine wechselseitige Information reduziert. Dabei wird zweierlei übersehen:

Erstens: Zwischenmenschliche Kommunikation lebt auch davon, dass die Gesprächspartner ihr jeweiliges Gegenüber als Individuum wahrnehmen mit allen Merkmalen, in denen sich ihre Persönlichkeit artikuliert – angefangen bei der Kleidung und dem Habitus, über die Mimik und Gestik bis hin zur Art, wie sie mit den Augen kommunizieren.

Zweitens: Der persönliche Kontakt ist auch für die Beziehungsbildung wichtig.

Identifikation mit dem Unternehmen sinkt

Kommt die persönliche Kommunikation in einer Organisation zu kurz, hat das oft weitreichende Auswirkungen:

Immer mehr Mitarbeiter fühlen sich nicht beachtet und gesehen in dem, was sie tun, und wie sie es tun,

  • sie fühlen sich immer weniger als Person gewertschätzt,
  • sie können sich weniger als Ganzes in der Organisation einbringen,
  • ein Erfahrungslernen wird erschwert,

Flow-Erlebnisse im Team werden vereitelt und Konflikte werden nicht oder auf falschem Wege (zum Beispiel per Mail) ausgetragen. Dadurch sinkt auch die Produktivität.

Eine weitere häufige Konsequenz ist: Das Vertrauen zwischen den Beschäftigten sowie den Führungskräften und ihren Mitarbeitern sinkt. Mitarbeiter vereinzeln oder werden vereinzelt, was zu einer geringeren Identifikation mit dem Unternehmen führt. Deshalb sollten sich die Führungskräfte von Unternehmen auch Gedanken darüber machen:

  • Wann und was kommunizieren wir nicht per Mail, sondern im persönlichen Kontakt? Und:
  • Wie fördern wir die informelle Kommunikation, da auch sie für den Beziehungsaufbau wichtig ist?  Denn Fakt ist: Die technische Entwicklung schreitet fort. Deshalb besteht die Gefahr, dass Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern irgendwann fast ausschließlich mittels elektronischer Medien kommunizieren – gerade weil diese Form der Kommunikation so einfach und bequem ist.

Die „Seele“ der Unternehmen bewahren

Die Top-Entscheider in den Unternehmen sollten sich auch fragen: Wie können wir in dem von permanenter Veränderung geprägten Unternehmensumfeld in unserer Organisation eine neue Balance finden zwischen

  • Reagieren auf äußere Zwänge und Wahren der Unternehmensidentität,
  • Verändern und Bewahren,
  • An- und Entspannung,
  • Druck-machen und Raum-geben sowie
  • betriebswirtschaftlichen Zielsetzungen und menschlichen Bedürfnissen?

Sonst besteht die Gefahr, dass ihre Unternehmen seelenlose Wesen werden, mit denen sich die Mitarbeiter immer weniger identifizieren – mit allen negativen Folgen für ihr Engagement und ihre Bindung ans Unternehmen.

Fragen sollten sie sich zudem, inwieweit es sinnvoll wäre, in der Organisation beziehungsweise im Arbeitsalltag bewusst „Oasen der Entschleunigung“ zu schaffen, in denen ein Sich-besinnen auf das Wesentliche erfolgt – auch um vermeiden, dass die Organisation in einen „rasenden Stilstand“ verfällt, in dem zwar viel, aber nichts Wesentliches mehr passiert.

Bei dieser „selektiven Entschleunigung“ in einem zunehmend von High-Speed geprägten Umfeld spielen die Führungskräfte top-down eine Schlüsselrolle. Denn sie reflektieren oft – getrieben vom Gefühl „Alles muss möglichst schnell gehen“ – ihre Entscheidungen zu wenig. Daher müssen sie diese häufig revidieren und ihre Zielvorgaben ändern. Außerdem bombardieren sie oft unreflektiert ihre Mitarbeiter mit „dringlichen, sofort zu erledigenden Aufgaben“ und torpedieren damit deren Möglichkeit, sich und ihre Arbeit zu organisieren – wodurch unnötiger Stress entsteht. Diesbezüglich sollten viele Führungskräfte mal ihr Verhalten reflektieren und neu definieren. Dann wäre in manchen Unternehmen schon viel gewonnen. Dasselbe gilt, wenn der gezielte Wechsel von Agieren und Reflektieren ein integraler Bestandteil der Führungskultur würde. Auch dies würde dazu beitragen, die Unternehmen fit für die Zukunft zu machen.

Über den Autor

Bild von Michael Schwartz

Michael Schwartz Michael Schwartz leitet das Institut für integrale Lebens- und Arbeitspraxis (ilea), Esslingen bei Stuttgart, das auch ein Seminar mit dem Titel „Individualisten führen und motivieren“ anbietet. Der Diplom-Physiker arbeitete vor seiner Beratertätigkeit fast zwei Jahrzehnte als Führungskraft sowie Projektmanager in der (Software-)Industrie. www.ilea-institut.de
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