Die Generation Y: Schreckgespenst oder Schimäre für die Personalabteilung?
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Die Generation Y: Schreckgespenst oder Schimäre für die Personalabteilung?

Dr. Georg Kraus
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Viele Personalverantwortliche sind verunsichert – jedoch nicht wegen der sogenannten Generation Y, sondern weil zahlreiche Veränderungen in der Gesellschaft und in den Betrieben ihre tradierten Personalkonzepte in Frage stellen.

Zunehmend drängt eine Generation junger Männer und Frauen auf den Arbeitsmarkt, die den Personalverantwortlichen in den Betrieben graue Haare wachsen lässt: Die sogenannte Generation Y oder Why? Denn sie stellt, glaubt man Medienberichten, alles in Frage „Job, Gehalt und Aufstieg“ – wie es zum Beispiel in einem Artikel im Onlineportal der Zeitschriften Handelsblatt und Wirtschaftswoche karriere.de heißt.

Typische Eigenschaften der Generation Y

Mit dem Begriff Generation Y oder Why werden nicht nur in diesem Artikel die nach 1980 geborenen Jung-Erwachsenen belegt, die angeblich folgende Merkmale gemeinsam haben: gut ausgebildet, „ehrgeizig, selbstbewusst und verwöhnt“; außerdem:

  • Sie bejahen zugleich Leistung und Lebensgenuss.
  • Die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie ist ein integraler Bestandteil ihres Lebens.
  • Karriere-machen und ein hohes Einkommen erzielen, stehen in ihrem Wertesystem nicht ganz oben.
  • Sie wollen sich verwirklichen und Spaß an der Arbeit haben.
  • Sie arbeiten ungern in einer hierarchisch strukturierten Umgebung.
  • Die Work-life-balance ist ihnen sehr wichtig. Und:
  • Sie wollen ihre Arbeitszeiten und -inhalte frei bestimmen.

Daraus leitet nicht nur der erwähnte Artikel die Forderung ab: „Die Firmen müssen umdenken.“ „Sie müssen die starren Hierarchien abschaffen.“ Sie müssen die jungen Arbeitnehmer „selbst entscheiden lassen, wann und wo sie arbeiten“. Und sie müssen dafür sorgen, dass sie den Spaß an der Arbeit nicht verlieren.

Angepasste Individuen oder rebellische Geister?

Das Problem solcher phänomenologischer Beschreibungen ist: Sie sind stets teilweise zutreffend. Selbstverständlich gibt es Jung-Erwachsene wie die beschriebenen. Doch prägen sie die nachrückende Generation von Arbeitskräften? Nein! Das zeigt allein die Tatsache, dass viele der nach 1980 geborenen Frauen und Männer heute bereits zu den Leistungsträgern in den Unternehmen zählen.

Und stellt die nachrückende Generation „alles in Frage“? Ebenfalls nein! Die Personalverantwortlichen in den Unternehmen konstatieren eher das Gegenteil: Das Gros der nachrückenden Arbeitnehmer ist extrem angepasst. Sie haben zum Beispiel das Leistungsprinzip voll verinnerlicht. Und in die hierarchische Struktur der Unternehmen ordnen sie sich klaglos ein. Und keineswegs lautet ihre oberste Maxime Selbstverwirklichung. Sie fragen vielmehr oft schon im Vorstellungsgespräch: Wie sicher ist der Arbeitsplatz langfristig? Und: Wie sieht es mit der betrieblichen Altersvorsorge aus?

Viele Personalchefs sind verunsichert

Trotzdem sind viele Personalverantwortliche verunsichert. Und zahlreiche Unternehmen stellen ihre Personalkonzepte in Frage. Die Ursache hierfür ist aber nicht die Generation Y oder Why. Die Ursachen liegen tiefer und sind eher soziologischer sowie mikro- und makroökonomischer Natur. Einige seien genannt:

  1. Gute Bewerber sind rar. Trotz Finanz- oder Eurokrise läuft die Wirtschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz wie geschmiert. Und auf dem Arbeitsmarkt herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Das heißt, gute Fach- und Führungskräfte sind rar. Entsprechend selbstbewusst können hoch qualifizierte Bewerber bei der Stellensuche agieren, da sie meist mehrere Optionen haben. Deshalb müssen die Unternehmen sich als attraktive Arbeitgeber profilieren und um die begehrten, weil raren Arbeitskräfte aktiv werben.
  2. Die Bevölkerung vergreist. Nicht nur die Bevölkerung ergraut, auch die Belegschaften vieler Betriebe weisen einen hohen Anteil älterer Arbeitsnehmer auf. Entsprechend viele junge Mitarbeiter müssen sie in den kommenden Jahren für sich gewinnen, um die Abgänge durch Verrentungen zu kompensieren. Das fällt Unternehmen in einem Umfeld, in dem qualifizierte Arbeitnehmer ohnehin rar sind, schwer. Deshalb müssen die Unternehmen eine vorausschauende Personalpolitik betreiben und ihr Aus- und Weiterbildungsengagement erhöhen.
  3. Das Bildungsniveau steigt. In den zurückliegenden Jahrzehnten stieg das Bildungsniveau der (Hoch-)Schulabsolventen. Das kommt einerseits dem Bedarf der Unternehmen entgegen, weil viele Aufgabenstellungen in ihnen heute eine höhere Qualifikation erfordern. Zugleich haben die höher qualifizierten Mitarbeiter aber höhere Erwartungen an ihre Arbeitgeber. Folglich müssen sich die Unternehmen verstärkt Gedanken darüber machen, wie sie gut qualifizierten Mitarbeitern eine Entwicklungsperspektive jenseits der Führungslaufbahn bieten können.
  4. Die Zahl der jungen Erben steigt. Für viele gutqualifizierte Hochschulabgänger gilt: Ihre Eltern zählten zu den Besser-Verdienenden in der Gesellschaft. Deshalb ist für viele absehbar, dass sie irgendwann ein größeres Vermögen erben. Deswegen entfällt für so manchen jungen Arbeitnehmer die Triebfeder Vermögensaufbau – sei es um sozial aufzusteigen oder fürs Alter vorzusorgen. Deshalb müssen die Unternehmen sich überlegen: Wie können wir hochqualifizierte Mitarbeiter motivieren, deren Existenz und finanzieller und sozialer Status (in absehbarer Zeit) auch ohne Job (bei uns) gesichert ist?
  5. Die sozialen Einheiten werden immer kleiner. Vor 30, 40 Jahren dominierten in unserer Gesellschaft noch die Familien mit zwei, drei und mehr Kindern. Und gründete der Nachwuchs eine eigene Familie? Dann geschah dies meist in relativer Nähe zum Elternhaus. Heute hingegen dominieren zumindest in den städtischen Ballungsräumen die Single-Haushalte. Und die verbliebenen Familien? Sie sind oft Patchwork-Familien mit einem oder zwei Kindern. Und die Großeltern, auf die man früher im Bedarfsfall zurückgreifen konnte? Zum Beispiel, wenn der Lebenspartner oder ein Kind krank wurde. Sie wohnen oft Hunderte von Kilometern entfernt. Das heißt: Vielen Arbeitnehmern fehlen heute gewachsene, soziale Stützsysteme, die sie bei Bedarf (emotional) tragen. Entsprechend „verletzlich“ sind sie. Daraus resultiert die Herausforderung für Unternehmen: Sie müssen mit ihrer Personalpolitik auf die veränderte Lebensrealität ihrer Mitarbeiter reagieren, zum Beispiel, indem sie ihnen ein noch flexibleres Arbeiten ermöglichen und Auszeiten, wenn sie privat gefordert sind.

Neben diesen gesellschaftlichen Veränderungen gibt es mikro- und makroökonomische, die die Personalstrategien vieler Betriebe in Frage stellen. Einige seien genannt.

  1. Die Unternehmen sind heute netzwerkartiger als früher strukturiert. In den tayloristisch organisierten Betrieben der Vergangenheit hatte jeder Mitarbeiter seine in einer Stellenbeschreibung klar definierten Aufgaben. Heute hingegen sollen (in den Kernbereichen der Unternehmen) die Mitarbeiter zumeist in oft bereichs- und hierarchieübergreifenden Teams die ihnen übertragenen Aufgaben lösen – und zwar weitgehend eigenständig. Deshalb fordern sie zu Recht mehr Information und Partizipation. Daraus folgt: Die Unternehmen müssen ihre tradierten Führungsmodelle überdenken, weil sie oft mit dem Arbeitsalltag ihrer Mitarbeiter kollidieren.
  2. Die Beziehung Arbeitgeber-Arbeitnehmer wird eine Kooperation auf Zeit. Die Unternehmen müssen heute häufiger ihre Strategien überdenken. Deshalb können sie ihren Mitarbeitern keine lebenslangen Beschäftigungsgarantien mehr geben, wie sie dies in der Vergangenheit unausgesprochen oft taten. Die Zusammenarbeit wird zunehmend zur Zusammenarbeit auf Zeit. Das wissen auch die Mitarbeiter. Deshalb binden sie sich emotional nicht mehr so stark an ihre Arbeitgeber. Deswegen müssen sich die Unternehmen fragen: Wie stellen wir eine Identifikation mit dem Unternehmen sicher, selbst wenn die Zusammenarbeit wahrscheinlich eine Zusammenarbeit auf Zeit ist?
  3. Die Arbeits- und Qualifikationsanforderungen wandeln sich schneller. Aufgrund des sich rasch wandelnden Unternehmensumfelds wandeln sich die Anforderungen an die Mitarbeiter schneller. Deshalb erwarten sie von ihren Arbeitgebern eine aktivere Unterstützung beim Weiterentwickeln ihrer Kompetenz, damit sie auch morgen noch begehrte Arbeitnehmer sind. Daraus erwächst die Herausforderung für Unternehmen: Sie müssen ihre Personalentwicklungskonzepte so gestalten, dass jeder Mitarbeiter die Unterstützung erfährt, die er – als Individuum – zum Erhalt oder Ausbau seiner beruflichen Kompetenz und zum Wahrnehmen seiner (künftigen) Aufgaben braucht.
  4. Die „Siemens-“ oder „Opel-Familie“ gibt es nicht mehr. In den zurückliegenden Jahrzehnten wurden die meisten Großunternehmen aus betriebswirtschaftlichen Gründen in Holdings umgewandelt. Das heißt, die Unternehmensspitze sourcte Bereiche entweder aus oder wandelte sie in Tochtergesellschaften um, in denen meist auch andere Tarifverträge als bei der „Mutter“ (oder keine) gelten. Sie ersetzte zudem (auf der operativen Ebene) oft Teile der Stammbelegschaft durch Leiharbeiter. Das registrierten (und spürten) auch die Mitarbeiter, weshalb sie emotional auf Distanz zu ihrem Arbeitgeber gingen und das tradierte Gefühl „Wir sind eine Familie“ zerbrach. Deswegen müssen sich die Unternehmen fragen: Wie können wir das Gemeinschaftsgefühl in unserer Organisation bewahren, obwohl unsere Mitarbeiter faktisch für verschiedene Unternehmen arbeiten, die oft auch unterschiedliche Personalstrategien haben?

Sich mit den oben skizzierten Veränderungen zu befassen, ist für Personalverantwortliche zielführender als sich mit der Generation Y oder Why zu beschäftigen – denn diese ist nur eine Schimäre am Medienhorizont.

Über den Autor

Dr. Georg Kraus

Dr. Georg Kraus Dr. Georg Kraus ist diplomierter Wirtschaftsingenieur und promovierte an der TH Karlsruhe zum Thema Projektmanagement. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal. www.kraus-und-partner.de
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