Prospect Theory: Unter Unsicherheit entscheiden wir nicht rational
Menschen treffen Entscheidungen unter Unsicherheit nicht in einer Weise, die wir gemeinhin als „rational“ beschreiben würden - dies besagt die Prospect Theory. Diese grundlegende Erkenntnis der Entscheidungsforschung des renommierten Psychologen Daniel Kahneman und des Kognitionsforschers Amos Tversky hat nun eine großangelegte internationale Studie bestätigt. Gleichzeitig belegte sie ihre weltweite Anwendbarkeit.
Menschen treffen Entscheidungen unter Unsicherheit nicht in einer Weise, die wir gemeinhin als „rational“ beschreiben würden – so die Prospect Theory aus dem Jahr 2002. Diese grundlegende Erkenntnis der Entscheidungsforschung des renommierten Psychologen Daniel Kahneman und des Kognitionsforschers Amos Tversky hat nun eine großangelegte internationale Studie bestätigt. Gleichzeitig belegte sie ihre weltweite Anwendbarkeit.
Ein Team aus jungen Wissenschaftlern internationaler Hochschulen, unter anderem der Columbia University sowie der Universität zu Köln, hat dafür die Ergebnisse eines berühmten Artikels von Kahneman und Tversky (1979) zur Prospect Theory repliziert. Der Artikel „Replicating patterns of prospect theory for decision under risk“ ist im renommierten Magazin Nature Human Behaviour erschienen.
Was besagt die Prospect Theory aus dem Jahr 2002?
Für die Prospect Theory hatte Kahneman im Jahr 2002, als Tversky bereits verstorben war, den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten. Die Theorie beschreibt, wie Menschen unter Unsicherheit Entscheidungen treffen und inwiefern diese nicht immer konsistent mit dem sind, was wir gemeinhin unter „rational“ verstehen – und was frühere, rationale Entscheidungstheorien wie die „Expected Utility Theory“ vorhersagen würden. Kahneman und Tversky zeigten, dass Menschen sich nicht rational im Sinne eines festen Algorithmus aus Wert, Wahrscheinlichkeit und bereits bestehendem Vermögen entscheiden, sondern dass sie beispielsweise Verluste stärker gewichten als Gewinne.
Außerdem sind wir risikoaffin in Bezug auf Gewinne, aber risikovermeidend in Bezug auf Verluste und können kleine Wahrscheinlichkeiten überschätzen. Für die damaligen Studien mussten die Versuchspersonen zwischen zwei Optionen wählen, zum Beispiel: A) eine 80-prozentige Wahrscheinlichkeit für den Gewinn von 4.000 Euro (das heißt auch 20 Prozent Wahrscheinlichkeit für 0 Euro Gewinn) oder B) eine 100-prozentige Garantie für 3.000 Euro Gewinn. Dann wurden verschiedene Entscheidungen miteinander verglichen, um Muster, nach denen die Entscheidungen getroffen werden, zu erkennen.
Was besagt die Replikationsstudie von heute
Unter der Leitung von Kai Ruggeri von der Columbia University zeigte das Forschungsteam nun 40 Jahre später, dass die Antwortmuster für Entscheidungen unter Unsicherheit repliziert werden können – wenn auch teils mit kleineren Effekten. So waren 77 Prozent der Effektgrößen in ihrer Studie kleiner als die der Originalstudie – was aber wegen der große Anzahl an Versuchspersonen nicht verwunderlich ist. Die Originalstudie befragte Stichproben von maximal 141 Versuchspersonen pro Frage, die Replikationsstudie hatte eine Gesamtstichprobe von 4.098 Versuchspersonen. Außerdem kamen die Versuchspersonen der Replikationsstudie aus 19 Ländern, was darauf hindeutet, dass die Antwortmuster weltweit generalisierbar sind.
Von der Universität zu Köln war Felice Tavera, Doktorandin der Psychologie an der Universität zu Köln, am Projekt beteiligt. „Unsere Studie zeigt, dass diese monumentale Theorie weiterhin dazu in der Lage ist zu beschreiben, wie Menschen Entscheidungen bei Unsicherheiten und Risiken in den Ausgangsbedingungen treffen. Und das 40 Jahre später, in 19 verschiedenen Ländern und bei einer sehr diversen Stichprobe mit Menschen unterschiedlichen Alters, Bildungsgrades und Einkommens“, fasst Tavera die wichtigsten Ergebnisse der Studie zusammen. „Gerade in Zeiten einer globalen Pandemie kann es wichtig sein, Theorien über individuelle Entscheidungsfindung zurate zu ziehen, um Aufklärungs- und Interventionsprojekte zu erstellen. Durch unsere erfolgreiche Replikation steht die Prospect Theory nun auf einem stabileren Fundament.“
Verhaltensforschung: starker Einfluss
In den letzten Jahren hat die Verhaltensforschung laut Tavera an Einfluss gewonnen: Regierungen und Unternehmen auf der ganzen Welt hätten das Potential erkannt, mithilfe von Erkenntnissen aus der Verhaltensforschung solche Prozesse und ihre Ergebnisse zu verbessern, die zu einem großen Teil von Individualentscheidungen beeinflusst sind. Gleichzeitig hat die Psychologie und allgemeiner die Verhaltensforschung begonnen, groß angelegte Replikationsstudien insbesondere zu besonders einflussreichen Theorien anzustoßen. Damit überprüft man, ob deren Ergebnisse noch immer zutreffen.
Eine erfolgreiche Replikation bedeutet dabei, dass man unter möglichst gleichen Bedingungen ein Forschungsergebnis reproduzieren kann. Das ist ein wichtiger Indikator dafür, dass das Ergebnis verlässlich ist. Die Open Science Collaboration hat dazu 2015 in einem großen Projekt 100 psychologische Studien wiederholt und herausgefunden, dass von 97 Studien mit signifikantem Effekt nur 35 Replikationsstudien solche Effekte replizieren konnten und nur bei 47,4 Prozent einer Teilmenge der Studien die Effektgrößen im Erwartungsbereich der Originalstudien lagen – in den Originalstudien waren sie deutlich größer geschätzt worden.
Daraufhin entbrannte eine große Debatte darüber, ob die Psychologie als Wissenschaft zu sehr auf ältere, teilweise nicht reproduzierbare Ergebnisse aufbaut. Gerade für Studien zu einflussreichen Theorien, wie beispielsweise der Prospect Theory, ist es deswegen äußerst kritisch, dass sie reproduzierbar sind.
Vor diesem Hintergrund leisten solche großangelegten Replikationsstudien einen wertvollen Beitrag. Mit der neuen Reproduktionsstudie konnte laut Tavera nun der Einfluss der Prospect Theory man sowohl in der Wissenschaft als auch in der politischen und unternehmerischen Praxis rechtfertigen.
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