Im Multi-Projektgeschäft sollte man neue Wege beschreiten
Die Realität in (Multi-)Projekt-Unternehmen ist erschreckend: Projekte überschreiten Termine und Kosten oder liefern eingeschränkte Funktionen und Qualität. Wirtschaftliche Schäden sind die Folge.
Diese haben drastische Auswirkungen auf die beteiligten Unternehmen, deren Kunden und nicht zuletzt oftmals auch auf die Allgemeinheit. Immer wieder zeigt sich, dass die Schwierigkeiten hausgemacht sind: Etablierte Kennzahlen und Managementmethoden erzeugen Handlungs- und Entscheidungskonflikte, die Projekte ausbremsen.
Ein radikal neues Vorgehen ist bei Multi-Projektgeschäften erforderlich: Eine einfache engpassorientierte Steuerung, eindeutige und robuste Prioritäten, Unternehmens- statt Bereichs-Optimierung und ein Fokus auf Geschwindigkeit sorgen dafür, dass Projekte tatsächlich fließen.
Viele Projekt- und Multiprojekt-Organisationen leiden darunter, dass ihre Projekte schon im Plan zu lange dauern und zu teuer sind und sie kaum ein Projekt rechtzeitig, im Kostenrahmen und bei voller Erfüllung der Spezifikationen abschließen können. Diese Tatsache hat tiefgreifende Konsequenzen für das Unternehmen und seine Partner:
- Kunden tragen wirtschaftlichen Schaden davon
- Lieferanten geraten unter Druck
- Mitarbeiter und Führungskräfte stehen unter Stress
- Zahlungen gehen später ein
- Rendite und Liquidität leiden
Wenn Unternehmen zuverlässig sein wollen
Ein Grund für Verzögerungen, Verspätungen und lange Projektlaufzeiten ist die sogenannte Variabilität: Wie lange die Erledigung einer Aufgabe tatsächlich dauert und wie aufwändig sie sein wird, aber auch wie viele Änderungswünsche der Kunde haben wird und welche Auswirkungen daraus auf das Projekt entstehen, können Unternehmen schwer einschätzen.
Und auch die beste Planung im Vorfeld schützt nicht davor, dass etwas übersehen wird. Die weitaus größere Ursache für Unzuverlässigkeit ist jedoch die Art und Weise, wie Unternehmen versuchen, Zuverlässigkeit zu bewirken:
1. Projekte kämpfen um Ressourcen
Projektmanager sollen im Unternehmen dafür sorgen, dass Projekte schnell und zuverlässig abgearbeitet werden. Da jeder nur für sein eigenes Projekt, nicht aber für die Projekte seiner Kollegen oder gar für das Gesamtergebnis des Unternehmens verantwortlich ist, läuft jedoch bald ein Konkurrenzkampf um Mitarbeiter und andere knappe Ressourcen.
Ressourcenmanager (Abteilungs-/Gruppenleiter) werden in der Folge zu einer dünnen Ressourcenverteilung und zu schädlichem Multitasking gezwungen, wodurch sich Projektlaufzeiten oft vervielfachen. Sind Verspätungen bereits an der Tagesordnung, müssen Projektmanager ihre Projekte so früh wie möglich starten; erst dann sind sie berechtigt, am Kampf um die Ressourcen teilzunehmen. Allerdings steigt so der „Work in Process“ weiter an. Ein Teufelskreis!
2. Effizienz vor Effektivität bei den Projekten
Ressourcen sollen effizient genutzt, d. h. möglichst gut ausgelastet sein. Gleichzeitig sollen die richtigen Ressourcen für die Projekte verfügbar sein. Deshalb setzt das Unternehmen Ressourcenmanager ein. Diese stehen im Dilemma zwischen „mehr Ressourcen aufbauen“ (um immer alle Projekte sofort bedienen zu können) und „weniger Ressourcen aufbauen“ (um einen möglichst hohen Auslastungsgrad aller Ressourcen zu erzielen).
Der Kostendruck übersteigt zumeist den Zuverlässigkeitsdruck. Aus diesem Grund tendieren Ressourcenmanager dazu, „weniger Ressourcen aufzubauen“, was wiederum die Arbeitslast erhöht.
3. Parkinson’s Law
Mitarbeiter, die danach beurteilt werden, ob sie mit der geplanten Zeit auskommen, planen sich individuelle Sicherheiten ein, um zuverlässig sein zu können. Diese werden während der Projektrealisierung verbraucht, damit zukünftige Zeitschätzungen nicht gekürzt werden. Dieser Effekt ist unter dem Namen „Parkinson’s Law“ bekannt: „Arbeit dehnt sich soweit aus, dass sie die dafür zur Verfügung stehende Zeit ausfüllt.“ Die Wirkungen: Verfrühungen entstehen nicht und Verspätungen können nur schwer wieder eingeholt werden.
Die Ausgangslage im Multi-Projektgeschäft
Unternehmen haben Mechanismen und Regeln entwickelt, die dazu dienen sollen, unternehmerische Ziele trotz Unsicherheit zu erreichen. Viele dieser Mechanismen und Regeln entstammen dem Paradigma der lokalen Optimierung: „Die Optimierung von Teilen führt automatisch zur Optimierung des Ganzen“. Dies führt jedoch dazu, dass Bereiche und Funktionen widersprüchliche bzw. konkurrierende Zielsetzungen verfolgen müssen. Daraus entstehen suboptimale Leistungen und eine unbefriedigende Unternehmenskultur.
Neue Wege im Multiprojekt-
Projektgeschäft
Jeder Manager weiß, dass es möglich ist, ein einzelnes Projekt in einem Bruchteil der üblichen Zeit zu verwirklichen. Dazu muss man nur dem Projekt während seiner gesamten Laufzeit die höchste Priorität geben und dafür sorgen, dass jeder (Mitarbeiter und Manager – bis hin zur Geschäftsleitung) alles andere stehen und liegen lässt, sowie das Projekt A einen Bedarf nach Ressourcen, Unterstützung oder Entscheidung hat. So wird erreicht, dass jeder Vorgang in der kürzest möglichen Zeit abgeschlossen wird.
Das Problem ist allerdings: Die eindeutige Bevorzugung von Projekt A geht zu Lasten aller anderen aktiven Projekte. Diese werden noch später fertig. Dennoch wird immer wieder zu dieser Vorgehensweise gegriffen; nach kurzer Zeit tauchen dann weitere A-Projekte auf – womit man wieder in der Ausgangssituation gelandet ist. Die Herausforderung in der Steuerung einer Multiprojekt-Organisation besteht folglich darin, möglichst jedem Projekt die Bedingungen von Projekt A zu verschaffen; und zwar ohne dafür zusätzliche Ressourcen zu benötigen oder in anderer Weise die Kosten hochzutreiben. Wie ist das möglich?
1. Arbeitslast reduzieren
Dünne Ressourcenverteilung, schädliches Multitasking, Desynchronisation und Defokussierung entstehen dadurch, dass die aktiven Projekte sich gegenseitig in die Quere kommen. Das ist der Fall, wenn die Arbeitslast (Work in Process, WIP) zu hoch ist: Es sind mehr Projekte aktiv, als die Organisation verkraften kann, ohne dass sich die Projekte gegenseitig behindern. Um signifikant besser zu werden, reduziert das Unternehmen den Work in Process auf ein sinnvolles Niveau und sorgt anschließend dafür, dass das reduzierte WIP-Niveau aufrechterhalten bleibt.
Daher wird zunächst ein Teil der Projekte eingefroren, was die Abarbeitung der nicht eingefrorenen Projekte beschleunigt. Die eingefrorenen Projekte werden dann schrittweise und kontrolliert wieder „aufgetaut“. Anschließend werden die neuen Projekte so gestartet, dass der Work in Process nicht wieder „hochschwappt“. Dazu werden die Projekte in der Reihenfolge ihrer strategischen Priorität am Engpass des Unternehmens gestaffelt. Erhöht sich die Performance, werden alle – auch die vorübergehend eingefrorenen – Projekte früher fertig.
2. Staffelläufer-Prinzip und explizite Sicherheiten
Im Projektgeschäft sind Sicherheiten erforderlich, ohne die kein Projekt auch nur annähernd zuverlässig sein kann. Werden Mitarbeiter nach individueller Termineinhaltung beurteilt, planen sie (und ihre Manager) erhebliche individuelle Sicherheiten ein und verbrauchen diese. So arbeiten Mitarbeiter scheinbar zuverlässig; die Projekte sind jedoch schon im Plan länger als nötig und dennoch unzuverlässig. Um signifikant besser zu werden, implementiert das Unternehmen eine Arbeitsweise, in der die schnellstmögliche Abarbeitung jeder begonnenen Aufgabe im Vordergrund steht. Zu diesem Zweck
- vermittelt das Management den Mitarbeitern glaubwürdig, dass sie nicht mehr nach individueller Termineinhaltung beurteilt werden,
- plant das Unternehmen die Projekt-Vorgänge ohne individuelle Sicherheiten und weist stattdessen gebündelte explizite Sicherheiten für jedes Projekt aus.
3. Synchrone operative Prioritäten
Im Projektgeschäft kommt es oftmals anders als geplant. Um signifikant besser zu werden, stellt das Unternehmen (durch ein geeignetes System) den Ressourcen und allen Management-Funktionen (Ressourcen-, Projekt- und Top-Managern) eindeutige, robuste und synchronisierte operative Prioritäten zur Verfügung. Diese bewirken, dass:
- Ressourcenmanager Projektvorgänge in der für das Unternehmen richtigen Reihenfolge starten, sie optimal mit Ressourcen ausstatten und die Mitarbeiter vor Störungen schützen, die Multitasking induzieren.
- Projektmanager sich um die Vorbereitung nicht gestarteter Projektvorgänge kümmern und die Ressourcen bei der Abarbeitung aktiver Vorgänge unterstützen. Sie versuchen nicht mehr, an anderen Projekten arbeitende Ressourcen zu unterbrechen (weil sich dies nachteilig für sie selbst auswirkt).
- Hhöhere Führungskräfte sich aus der Projektrealisierung heraushalten und nur dort intervenieren, wo ihre Unterstützung einen erheblich beschleunigenden Beitrag leisten kann. Konkurrieren mehrere Projekte um ihre Aufmerksamkeit, wissen sie, welches Projekt zuerst versorgt wird und welche anderen Projekte warten müssen.
Umfangreiche Erfahrungen belegen, dass durch diese Vorgehensweise dünne Ressourcenverteilung und schädliches Multitasking weitestgehend verschwinden. Reibungsverluste drastisch abnehmen, während ein Klima der produktiven Zusammenarbeit entsteht. Der Bedarf für operative Prioritätsabstimmungen entfällt, was die Besprechungszeiten erheblich reduziert. Mit denselben Ressourcen können signifikant mehr Projekte fertiggestellt werden.
Für unsere Wirtschaft wäre es ein Traum: Projekte, die in der geplanten Zeit fertig und Projektphasen, die vorzeitig abgeschlossen werden, ein Kostenrahmen, der eingehalten wird und Unternehmen bzw. Mitarbeiter, die im Projektgeschäft aufblühen, weil sie gerade hier ihre Fähigkeiten und ihre ganze Leidenschaft einbringen können. Projekte können fließen, wenn Unternehmen lernen, in manchen Bereichen neu zu denken und den Mut haben, gemeinsam neue Wege zu gehen.
Autor: Uwe Techt www.vistem.eu
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