Wenn Unternehmen in die Innovationsfalle geraten
Warum werden aus Innovations- und Marktführern zuweilen scheinbar über Nacht Sanierungsfälle? Der Innovationsberater Jens-Uwe Meyer beschreibt die fünf gefährlichsten Innovationsfallen, in die erfolgreiche Unternehmen häufig tappen.
Innovation ist „in“ – verbal. Kaum eine Vorstandsrede, kaum ein Unternehmensprospekt, in dem dieses Wort nicht in jedem dritten Satz auftaucht. Trotzdem tappen Unternehmen immer wieder in die gleichen Innovationsfallen. Mit Schlecker, Manroland und Kodak haben diese 2012 schon drei prominente Opfer erwischt. Andere Unternehmen stecken tief in den Fallen – ohne es zu merken. Folgende fünf Innovationsfallen sorgen oft dafür, dass Unternehmen sich nur im Kreis drehen und irgendwann den Marktanschluss verlieren.
Innovationsfalle 1: Die Hochglanzfalle
Schaut man sich die Hochglanzbroschüren der Unternehmen an, gewinnt man den Eindruck: Alle sind hoch-innovativ und stehen kurz davor, ihren Markt zu revolutionieren. Blickt man jedoch hinter die Fassade, dann stellt man oft fest: Ihre Selbst-Aussagen haben dieselbe Substanz, wie die Werbebotschaft, dass ein Waschmittel jetzt noch weißer wäscht.
Je häufiger die Mitarbeiter und Manager eines Unternehmens solche Botschaften vernehmen, desto mehr glauben sie selbst: Wir sind innovativ. Die Folge: Das Unternehmen leidet zunehmend unter blinden Flecken und konzentriert sich auf die Innovationsfelder, die schnell und einfach Erfolge bringen. Wirklich radikale Innovationen hingegen unterbleiben. Die Märkte umgestalten, das tun Mitbewerber von außen. So geschehen in der Automobilindustrie: Ausgerechnet ein Branchen-Outsider – Shai Agassi, ein ehemaliger SAP-Vorstand – entwickelt ein vollkommen neues Modell zur Elektromobilität. Während die klassischen Automobilfirmen weiter daran arbeiten, ihre Batterien zu verbessern, entwarf Agassi mit dem „Project Better World“ ein Mietsystem für aufgeladene Elektrobatterien.
Innovationsfalle 2: Die Erfahrungsfalle
Insider, die auf den Managementtagungen des ehemaligen Druckmaschinenherstellers Manroland waren, erinnern sich: Der Vorstand sagte der Zeitung eine große Zukunft voraus. Immer wieder wurde die Solidarität zur Druckrolle beschworen, während die meisten Verlage bereits ihr Wachstum in anderen Feldern suchten.
Das Top-Management zahlreicher Unternehmen macht den Fehler: Es beurteilt die Zukunft mit den Erfahrungen der Vergangenheit. Es geht zum Beispiel davon aus: Menschen lasen schon immer Zeitung, sie gingen schon immer in ein Reisebüro, um ihren Urlaub zu buchen, und sie kauften schon immer Kleidung von der Stange. Doch ist es wirklich unvorstellbar, dass sie morgen Zeitungen als totes Holz verspotten, einem automatischen Buchungsassistenten mehr als einem Reisebüro vertrauen und sich „personalisierte“ Kleidung wünschen?
Innovationsfalle 3: Die Trägheitsfalle
Prozess- und Kostenoptimierung, Lean-Management – das sind in vielen Unternehmen beliebte Schlagworte. Arbeitsabläufe werden systematisch gescannt, überflüssige Handbewegungen verboten und jede Tätigkeit in definierte Prozesse gezwängt. Das hat durchaus einen positiven Effekt: Die Unternehmen beherrschen ihr operatives Geschäft aus dem Effeff. Die Kehrseite der Medaille: Es wird kaum über neue Wege nachgedacht.
Gerade Unternehmen, die durch starre Strukturen und feste Prozessabläufe sehr erfolgreich wurden, sind oft kaum in der Lage, sich außerhalb dieser Prozesse zu bewegen. Sie und ihre Mitarbeiter sind so flexibel wie Betonmauern.
Innovationsfalle 4: Die Erfolgsfalle
Erfolg fühlt sich gut an und macht zufrieden. Genau das ist das Problem. In sehr vielen Unternehmen werden schnelle Erfolge belohnt: Ein Quartalsplus bei den Verkaufszahlen, ein großer Deal, kurzfristige Erfolge bei der Neukundengewinnung. Im Kern ist das nicht verkehrt, denn: Viele schnelle Erfolge machen ein Unternehmen erfolgreich – aber nicht unbedingt innovativ. Denn die für Innovation so wichtige Investitionsphase erscheint nicht reizvoll, wenn man mit dem Bestehenden noch gut verdient.
Der Erfolg von heute wird jedoch zum Problem von morgen, denn die Steigerung des Bewährten funktioniert nicht ewig. Wie viele Pizzas mehr kann man verkaufen? Ein durchschnittlicher Mensch schafft nicht mehr als eine pro Tag. Und kann man Menschen wirklich einreden, sie bräuchten einen Zweit-, Dritt- oder gar Viertstaubsauger? Einigen, wenigen „Blöden“ vielleicht!
Innovationsfalle 5: Die Kannibalismusfalle
Kannibalismus – davor fürchten sich viele Unternehmen. Wenn Konkurrenten angreifen, ist das schlimm. Schlimmer ist es aber, wenn sich das Unternehmen selbst Marktanteile wegnimmt. Aus diesem Grund weigerten sich die Elektronikhändler Saturn und Media Markt jahrelang, Onlineshops zu eröffnen – aus Angst, die Kunden könnten online und statt in den Geschäften kaufen. Und der Fotohersteller Leica? Er schreckte davor zurück, in die digitale Fotografie einzusteigen – aus Angst, dies könne sein Geschäft mit analogen Apparaten gefährden.
Die Folge: Von den Marktveränderungen und vom technischen Fortschritt profitierten andere. Amazon nahm Media Markt eine große Zahl von Kunden weg. Und die digitale Fotografie? Sie fand weitgehend ohne Leica statt.
Zu viel Rücksichtnahme auf das bestehende Geschäftsmodell und die Hoffnung „Es kommt schon niemand anders auf die Idee, …“ verhindern einen gesunden Kannibalismus. Dabei sind Kannibalen besser als ihr Ruf. Ein Unternehmen, das sich selbst kannibalisiert, handelt proaktiv und gestaltet seinen künftigen Markt mit. Es wird zum Jäger statt Gejagten.
Buch: Jens-Uwe Meyer – „Radikale Innovation – das Handbuch für Marktrevolutionäre“, Verlag Business Village, 2012.
Kommentare