Die Berufskrankheit bei Machern
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Die Berufskrankheit bei Machern

Ralf R Strupat
Am

Viele Chefs folgen im Alltag einem unausgesprochenen „Macher-Mythos“, den man in einem Satz so umschreiben könnte: Ein Chef muss alles können, alles wissen und am besten alles sofort lösen. In einer immer komplexeren Arbeitswelt und mit zunehmend „verdichteten“ Aufgaben ist das schlicht unmöglich und führt im schlimmsten Fall geradewegs in den Burn-out.

Ein Gruppenleiter mit einer überschaubaren Zahl von Mitarbeitern mag noch im Detail nachvollziehen können, was seine Leute tun. In der zweiten oder dritten Führungsebene funktioniert das nicht mehr. Und im Umgang mit Mitarbeitern erweist sich dieses Selbstbild häufig als extrem schädlich, weil es selbstständiges Handeln der Mitarbeiter hemmt und damit Rückdelegationen vorprogrammiert sind. Jeder Beruf prägt, das gilt auch für Führungspositionen. Viele „Berufskrankheiten“ von Chefs hängen mit dem Macher-Mythos zusammen. Vier Beispiele hierfür.

1. Das My-Way-Syndrom bei Machern

Mach es so wie ich, und du machst es richtig! Sie kennen vielleicht den alten Sinatra-Hit, dessen Refrain stolz verkündet „I did it my way!“. Mitarbeitern ohne Rücksicht auf die Person und individuelle Stärken eigene Vorgehensweisen überstülpen zu wollen, kann nur schiefgehen. Daraus resultiert nicht selten das, was man salopp auch als „Entchen rücken“ bezeichnet. Ein Beispiel dazu: Eine Mitarbeiterin hat den Auftrag erhalten, in einem Einzelhandelsgeschäft eine Osterdekoration aufzubauen. Als sie damit fertig ist, nimmt die Abteilungsleiterin das Ganze in Augenschein. Noch während diese die Dekoration lobt – frei nach dem Motto „Sehr schön, Frau … . Sieht klasse aus“- beginnt die Vorgesetzte, hier und da Kleinigkeiten zu verändern, an einem Blütenzweig zu zupfen und einige Entchen jeweils um einen oder zwei Zentimeter zu verrücken. Die Mitarbeiterin steht betreten daneben. Was ankommt, ist nicht das verbale Lob, sondern die nonverbale Botschaft: Ich selbst hätte es noch ein bisschen besser gekonnt! Hand aufs Herz: Wie oft haben Sie selbst schon Entchen gerückt? War die Veränderung wirklich so lohnend, dass sie die Demotivierung des verantwortlichen Mitarbeiters aufwog?

2. Die Delegationsscheu bei Machern

Die Delegationsscheu wurzelt häufig im „My-Way-Syndrom“ – frei nach der Devise „Wenn ich es selbst mache, wird es am allerbesten“. Das mag im Einzelfall sogar stimmen, kann jedoch verheerende Folgen haben, wenn die Führungskraft über nachrangige (Lieblings-) Aufgaben das große Ganze aus dem Auge verliert. Das ist in etwa so, als wenn der Kapitän eines Öltankers sich mit den Hygienestandards in der Bordküche beschäftigt, während sein voll betankter Kahn gerade auf ein Korallenriff zutreibt. Haben Mitarbeiter zudem erst einmal den Eindruck, der Chef möchte überall das letzte Wort behalten, sind Rückdelegationen Tür und Tor geöffnet. Es wird nahezu unmöglich, Aufgaben komplett zu übergeben, weil Mitarbeiter zwischendurch immer wieder mit Fragen in Ihrem Büro dazu auftauchen, wie sie dies oder jenes genau handhaben sollen? Der Ausweg aus diesem Dilemma ist eine simple Rückfrage: „Was schlagen Sie denn vor?“

3. Die Chefbrille bei Machern

Wenn es um Mitarbeiterverhalten geht, ist die typische Chefbrille nicht etwa optimistisch-rosa, sondern sie gleicht vielmehr oft der Lupe eines kritischen Materialprüfers: Alles, was in Ordnung oder sogar hervorragend ist, wird stillschweigend hingenommen, doch die fünf Prozent, die nicht klappen oder suboptimal sind, werden gnadenlos ans Tageslicht gezerrt und ausführlich begutachtet. Der arme Herr Meier arbeitet wochenlang unauffällig und fehlerfrei vor sich hin. Dann unterläuft ihm ein Patzer. Flugs zückt sein Chef die Kritikbrille und betreibt gnadenlos Ursachenforschung: „Wie konnte Ihnen das bloß passieren, Herr Meier?“ Wenn der Fehler überhaupt so gravierend ist, dass er ausführlich thematisiert werden muss, wäre eine andere Frage viel zielführender: „Wie werden Sie sicherstellen, dass sich das in Zukunft nicht wiederholt, Herr Meier?“

4. Der Erziehungswahn bei Machern

Mit „Erziehungswahn“ ist die Vorstellung gemeint, Mitarbeiter umzumodeln und „ändern“ zu können, damit sie besser zum Unternehmen, zur Aufgabe oder auch zu den eigenen Vorstellungen passen. Paradoxerweise verlangen wir damit von anderen etwas („Ändere dich!“), zu dem wir selbst kaum bereit sind. Psychologen sind sich einig, dass spätestens im jungen Erwachsenenalter die Persönlichkeit so gefestigt ist, dass sich ein Mensch nicht mehr grundlegend verändert. Er kann bis zum Tod neue Kenntnisse erwerben, er kann sich bis zu einem gewissen Grad auch neue Verhaltensweisen aneignen, seine Persönlichkeitszüge werden sich jedoch nicht mehr grundlegend wandeln. Das geschieht im Erwachsenenalter allenfalls unter enormem Leidensdruck, etwa durch existenzielle Krisenerfahrungen (schwere Krankheiten, Verlust naher Angehöriger). „Aus einem Ackergaul kann man kein Rennpferd machen“, heißt es im Vertrieb beispielsweise, wenn jemand die für einen guten Verkäufer wichtigen Persönlichkeitseigenschaften (sicheres Auftreten, Gespür für Menschen, Eloquenz) nicht mitbringt. Dennoch wird in der Unternehmenspraxis nicht selten versucht, ein Rennpferd vor den Pflug zu spannen oder umgekehrt einen Ackergaul wieder und wieder über die Rennbahn zu scheuchen, in der Hoffnung, dass er irgendwann schneller rennt.

Sieht man sie schwarz auf weiß vor sich, offenbart sich der überzogene Anspruch mancher Überzeugungen. Die Vorbildrolle als Chef bedeutet weder, dass die eigene Art der Problemlösung das Maß aller Dinge und auch für jeden Mitarbeiter richtig ist, noch, dass wir uns selbst keinerlei Schnitzer erlauben dürften. Der reflektierte Blick auf die eigene Person führt im besten Fall dazu, dass Führungskräfte ihre Stärken sehr gezielt einsetzen und sich ebenso gezielt mit Mitarbeitern umgeben, die dort stark sind, wo sie sich eher zurücknehmen. Und das wiederum beugt einer weiteren „Berufskrankheit“ vor: Der ebenso verständlichen wie gefährlichen Neigung, sich vorwiegend mit Menschen zu umgeben, die ähnlich „ticken“ wie man selbst. Fatalerweise sind einem solche Menschen meist spontan sympathisch. Doch eine gute Crew lebt nicht zuletzt von einer gesunden Mischung der Charaktere. Erfolgreiche Führungskräfte wissen schon lange: Es kommt vor allem darauf an, die richtigen Leute am richtigen Platz zu haben. Auch mit viel Renntraining wird ein Ackergaul allenfalls ein bisschen schneller. Und auch mit viel Muskeltraining bleibt das Rennpferd auf dem Acker eine schlechte Hilfe. Bestleistungen erbringen beide nur, wenn man sie auf ihren angestammten Gebieten einsetzt und fördert… und der Chef sie – ohne Macher-Mythos und Berufskrankheiten – arbeiten lässt.

Über den Autor

Ralf R Strupat

Ralf R. Strupat Ralf R. Strupat ist der Umsetzungs-Experte für Kundenbegeisterung! Seit 2002 trat er mit seiner Firma STRUPAT.KundenBegeisterung! auf den Markt.
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