Business in Indien: Diese vier Irrtümer sollten Sie vermeiden
Auch im Indiengeschäft lauern Gefahren und Fallstricke. Dass man mit dem Kopf wackelt, wenn man ja sagen will oder dass ein „no problem, Sir!“ Alarmstufe Nummer eins bedeutet, wissen viele indienerfahrene Geschäftsleute. Wenn Sie jedoch zusätzlich Hintergrundwissen haben und z.B die folgenden vier Irrtümer vermeiden, wird Ihr geschäftlicher Erfolg auch in Indien sicher sein.
Irrtum Nr.1: „In Indien spricht man Englisch“
Aufgrund der Tatsache, dass Indien einst eine englische Kolonie war, schlussfolgern viele westliche Geschäftspartner, dass die englische Sprache auch heute noch ihre Indiengeschäfte vereinfachen würde. Dies im Unterschied zu China, wo nicht nur die gesprochene, sondern auch die Schriftsprache für uns meist unbekannt ist.
Wahr ist: nur circa zehn Prozent der indischen Bevölkerung sprechen Englisch! Es gibt 25 offiziell anerkannte Sprachen und zahlreiche Lokaldialekte. Schließen Sie vom britischen oder amerikanischen Englisch Ihrer Verhandlungspartner nicht auf das ganze Land! Diese gehören zur Oberschicht und studierten oft im Westen.
Sie sollten diese Sprachprobleme vor allem bedenken, wenn Sie planen, in Indien zu produzieren. Stellen Sie sicher, dass auch Ihre Mitarbeiter in der Produktion im wahrsten Sinn des Wortes „eine Sprache“ sprechen.
Irrtum Nummer 2: „Das Kastenwesen ist in Indien verschwunden“
Ja – in der Verfassung, die seit 1950 gilt.
Wahr ist: Auch heute noch bestimmt das Kastenwesen das soziale Leben der Inder. Neben den 4 Hauptkasten existieren tausende von Unterkasten, die man in Indien „Varnas“ (Farben) nennt. Wie können Sie die Kaste Ihres Gesprächspartners erkennen? Denn danach fragen dürfen Sie nicht! Sie können sie allerdings etwas erschließen, wenn sie seinen Beruf oder seinen Familienhintergrund berücksichtigen.
- Brahmanen: Die ehemalige Priester- und Gelehrtenkaste finden Sie heute in akademischen Berufen, in der Forschung und zum Teil auch im Topmanagement.
- Kshatryias: Ehemals Könige oder Krieger, heute im Militär, auch im mittleren Management zu finden.
- Vaishyas: Früher Händler oder Hirten. Sie sind heute noch Kaufleute oder Händler (Stoffe, Obst etc.).
- Shudras: Sie waren einst die Knechte und Diener, heute arbeiten sie in un- und angelernten Berufen.
- Die Dalits oder die Unberührbaren befinden sich außerhalb der Kasten. Sie gehören zu den ärmsten der Gesellschaft. Diese erfahren auch heute noch eklatante Diskriminierung, vor allem auf dem Land. Dort wird ihnen in manchen Dörfern sogar der Zugang zu sauberem Trinkwasser verwehrt.
Für alle Kasten gelten strikte Verhaltensregeln und Berufsbeschränkungen. Ehen zwischen den Kasten sind auch heute noch nicht üblich.
Vorschriften aus dem Kastenwesen können die Zusammenarbeit Ihrer indischen Mitarbeiter beeinflussen. Häufig dürfen bestimmte Kastenangehörige bestimmte Tätigkeiten überhaupt nicht ausführen. Dies hat konkrete Auswirkungen auf die Aufgabenverteilung und –zuständigkeit in einer Arbeitsgruppe.
Irrtum Nummer 3: „Alle meine indischen Geschäftspartner sind Hindus“
Es stimmt, dass über 80% der Inder dem Hinduismus angehören. Daneben finden Sie jedoch vor allem im Norden des Landes, auch in Delhi, Muslime (ca. 13% der Bevölkerung). Rund um Goa im Westen oder auch im Süden gibt es 2,4 % Christen.
Wahr ist: Das Wirtschaftsleben Indiens wird sehr stark von den Business Communities bestimmt, zu denen solche Glaubensrichtungen wie Sikhs, Parsen oder Jains gehören. Von den beiden letzten haben Sie wahrscheinlich noch nie etwas gehört. Es ist eine verschwindend kleine Minderheit in der Bevölkerung, deren Grundüberzeugungen jedoch starke Wirtschaftsaktivitäten fördern. So gehört zum Beispiel der Großindustrielle Ratan Tata zur Religionsgruppe der Parsen. Angehörige der Jains sind im Geld- und Goldhandel aktiv. Und einen gläubigen Jain kennen wir auch in Deutschland: Anshu Jain – erfolgreicher Investmentbanker und zeitweise einer der Vorstände der Deutschen Bank.
Irrtum Nummer 4: „Indien ist die größte Demokratie der Welt“
Das stimmt. Nach der Verfassung ist Indien demokratisch und die Bevölkerung darf ihre Regierung wählen. Wahr ist: Es ist eine Demokratie indischer Prägung. Parteien kaufen sich im Wahlkampf häufig die Stimmen. Vor allem für die Ärmsten ist das eine Einkommensmöglichkeit. Viele Parlamentarier des Unterhauses waren oder sind zudem straffällig. Sie waren wegen Mordes, wegen Raubes wegen Diebstahl und Erpressung angeklagt.
Die Korruption in Verwaltung und Behörden ist allgegenwärtig. Sie verschont auch die Inder nicht. Für viele Dienstleistungen müssen auch sie in öffentlichen Verwaltungen „under-table-money“ zahlen. „In Indien läuft es wie geschmiert“, sagt einer meiner Kunden immer. Selbstverständlich wird dies auch Ihre Indiengeschäfte beeinflussen. Deshalb benötigen Sie die Hilfe und Unterstützung von indischen Mitarbeitern oder Partnern mit entsprechenden Beziehungen. Berücksichtigen Sie auch, dass dies zeitliche Verzögerung bei der Umsetzung Ihrer Vorhaben bedeuten kann.
Was Sie bedenken sollten
- Hierarchie: In Indien (wie in allen anderen asiatischen Staaten) sind die Gesellschaft und das soziale Miteinander strikt hierarchisch organisiert. Der jeweilige Rang eines Menschen ist abhängig von seiner Kastenzugehörigkeit, seinem gesellschaftlichen Status und auch dem Geschlecht.
- Visitenkarten: Ein wichtiges Mittel im Geschäftsleben, das Rückschlüsse auf das Gegenüber zulässt, sind die Visitenkarten. Westliche Geschäftsleute sollten daher auf ihren Businesscards weniger Funktionen (Einkauf, Verkauf, technischer Service), als hierarchische Positionen aufführen: Head of Sales, General Manager etc. Nur das schafft beim indischen Partner Klarheit und Anerkennung.
- Frauenbild: Die Mehrzahl der indischen Frauen ist im Alltag stark benachteiligt, oft erleben sie auch körperliche Gewalt. Eine Ausnahme sind die Brahmaninnen oder die Frauen aus der Oberschicht quer durch die Gesellschaft. Westliche Geschäftspartner hingegen werden nur auf Frauen treffen, die über eine entsprechende Bildung oder auch gesellschaftliche Position verfügen. Diese sind oft sehr selbstbewusst – was dann einmal eine westliche Journalistin zu der Fehlannahme führte, die indischen Frauen seien emanzipierter als etwa die deutschen.
- Berührungen: Seien Sie grundsätzlich vorsichtig mit Berührungen (Umarmungen, Anfassen) gegenüber diesen Upper-Class-Inderinnen! Insgesamt gilt jedoch im Umgang mit Frauen: Das westliche „Ladies-first“-Prinzip ist in Indien unbekannt und wird durch ein „Hierarchy-first“ ersetzt.
- Realitätscheck: Ihre indischen Geschäftspartner machen oft euphorische und optimistische Aussagen in Bezug auf die Möglichkeiten einer Kooperation. Verlassen Sie sich bitte nicht unbedingt auf solche Einschätzungen, sondern prüfen Sie kritisch die Realisierungschancen sowie den notwendigen eigenen Aufwand.
- Untergeordnete Mitarbeiter: Untergeordnete indische Mitarbeiter praktizieren auch Westlern gegenüber das indische Gebot, einen Ranghöheren nie zu kritisieren und ihm auch eher „sozial erwünschte“ Antworten zu geben. Für uns ist das Schmeicheln, Lügen und Täuschen – in Indien gehört dieses Verhalten aber zu den erforderlichen Regeln im sozialen Miteinander.
- Qualitätserwartung: Wenn Sie in Indien produzieren möchten, dann relativieren Sie bitte auch Ihre Erwartungen in Bezug auf die Qualifikation der indischen Mitarbeiter. Auch bei den oft zitierten IT-Kenntnissen mussten viele deutsche Unternehmen schon Enttäuschungen erfahren. „Coding is fine“, sagte mir einmal ein amerikanischer Kunde. Problem hingegen gäbe es, wenn es um die Entwicklung von Systemlösungen ginge. Dies gilt auch für alle anderen Tätigkeiten. Häufig müssen Sie die indischen Mitarbeiter auch erst einmal qualifizieren.
- Fluktuationsrate: Damit sollten Sie auch an die hohen Fluktuationsraten denken. Oft wechseln die indischen Mitarbeiter recht willkürlich und schnell den Arbeitsplatz. Ihre Investitionen kommen daher anderen Arbeitgebern zugute. Vertraglich vereinbarte Strafen oder ähnliches nützt meist in Indien nicht viel, weil es an einer Institution fehlt, die diese Verletzungen ahnden würde.
- Erwartungen westlicher Mitarbeiter: Wenn Sie westliche Mitarbeiter nach Indien schicken, dann prüfen Sie bitte, ob diese auch fähig oder gewillt sind, zum Beispiel den indischen Vorstellungen hinsichtlich der Rolle eines Chefs oder einer Führungskraft zu entsprechen. Der Vorgesetzte ist der unumschränkte Gott in der Firma. Er ordnet an und kontrolliert alles – ist aber auch gleichzeitig der fürsorgliche Patriarch. Flache Hierarchien in der Arbeitsorganisation oder Delegation an eigenständig handelnde Mitarbeiter sind in Indien weitgehend unbekannt.
Buchtipp: Fit für Asien! 44 Tipps für den durchschlagenden Geschäftserfolg. Haufe 2018, 19,99 Euro. ISBN Softcover: 978-3-7451-0203-1. Autorin: Dr. Hanne Seelmann-Holzmann.
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