Wie gut funktionieren die Netzwerke in Ihrem Unternehmen?
Organisationale Netzwerkanalyse

Wie gut funktionieren die Netzwerke in Ihrem Unternehmen?

Michael Thiel
Am

Die Optimierung der Netzwerke ist ein einfacher Weg, um Steuerungsfähigkeit, Agilität und Innovation im Unternehmen zu fördern und Veränderungsprozesse zu optimieren. Hier erfahren Sie, warum Sie besser Ihre Organisationsnetzwerke entwickeln sollten statt ihre Organisationsstrukturen mit viel Aufwand zu redesignen.

Wie nutzen Sie Netzwerke für den agilen Wandel?

Wie bleiben wir im Unternehmen steuerungsfähig angesichts steigender Spezialisierung einerseits und Autonomie von Bereichen, Abteilungen, oder Standorten andererseits? Wie sollen wir uns für den agilen Wandel neu organisieren, um unser Wissen besser zu nutzen? Wie werden wir innovativer, wie setzen wir Veränderungen schneller um? Diese Fragen stellen sich derzeit viele Führungskräfte. Bisher war die Hierarchie für die Beantwortung solcher Integrations- und Entwicklungsfragen verantwortlich. Die steigende interne Eigenkomplexität von Unternehmen macht in den letzten Jahren jedoch deutlich: Die zentralen Hierarchien alleine sind mit der Steuerung des Gesamtsystems überfordert. Es wird für sie zunehmend schwieriger, Weiterentwicklung, Innovation, Integration und strategische Entscheidungen in der notwendigen Qualität zu gewährleisten.

Entscheidungs-, Entwicklungs- und Innovationsprozesse müssen besser integriert, Abteilungen und Bereiche stärker vernetzt und die Potentiale und das Wissen der Menschen besser genutzt werden. Ein wichtiger und oft unterschätzter Faktor sind dabei die internen Netzwerke, die sich mit der Methode der Organisationalen Netzwerkanalyse (ONA, auch Soziale Netzwerkanalyse – SNA- genannt) gut analysieren lassen.

Die Organisationale Netzwerkanalyse und die auf ihr aufbauende Entwicklung von Organisationsnetzwerken hat gegenüber anderen Organisationsmaßnahmen (Restrukturierung; Holokratie etc.), die einen hohen Aufwand für Aufbau, Kulturwandel und Instandhaltung erfordern, einen entscheidenden Vorteil: Unternehmen haben bereits interne und externe, informelle Netzwerke. Sie müssen ihnen meist nur die richtigen Impulse geben, um sie zu optimieren und besser zu nutzen. Selbstorganisation in Netzwerken ist schneller und flexibler als formalisierte Strukturen.

Gleichzeitig führt die Diagnose und konsequente Nutzung der Ergebnisse der ONA aufwandsarm zu den Wirkungen, die man sich von New Work und agiler Führung wünscht: schneller Wissenstransfer, Innovation über Bereichsgrenzen hinweg, Optimierung von Kommunikation und Kooperation, Effizienzsteigerung bei Veränderungsprozessen.

Was genau verstehen wir unter organisationalen Netzwerken?

Organisationale oder soziale Netzwerke sind informelle Beziehungen zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller Ebenen und Bereiche oder zwischen Unternehmen. In organisationalen Netzwerken tauschen die Mitglieder von Organisationen z.B. Wissen, Rat, Information, Ideen aus oder geben sich Unterstützung in emotionaler Hinsicht. Sie entstehen dadurch, dass Mitarbeitende sich zu fachlichen, unternehmerischen, technischen, strategischen oder persönlichen Themen austauschen. Diese Netzwerkbeziehungen sind nicht formalisiert oder reglementiert, sondern gestaltbar.

Netzwerke verhalten sich zur Struktur der Organisation (Organigramm) wie die Organe des menschlichen Körpers zum Skelett. Das Skelett (Struktur) liefert das Gerüst, in dem die Organe über Blutbahnen und das Nervensystem miteinander vernetzt sind und darüber die komplexe Anpassung an wechselnde Umweltbedingungen miteinander steuern. Soziale Netzwerkbeziehungen durchziehen das Unternehmen, quer zu Abteilungsgrenzen, Funktionen und Hierarchien. Sie sind eine zweite, parallel zur sichtbaren formalen Unternehmensstruktur bestehende Ebene der Interaktion, auf der für das Unternehmen wesentliche Kommunikation und Kooperation stattfinden, die der Steuerung des Ganzen nutzt.

Diese Strukturen lassen sich durch die ONA genau analysieren. Die Methode liefert Führungskräften u.a. Informationen darüber,

  • welche Mitarbeitenden wesentliche Wissensträger, Kommunikatoren und Strategen sind. Dabei werden häufig „hidden champions“ entdeckt, Talente, die nicht unbedingt in prominenten (Führungs-) rollen sind und die keiner auf dem Schirm hatte.
  • welche Mitarbeiter ausreichend vernetzt sind und wo es Kommunikationslücken gibt
  • welche Mitarbeiter oder Mitarbeitergruppen (z.B. nach Alter, Profession oder Geschlecht analysiert) welchen Einfluss auf die Weiterentwicklung des Unternehmens haben
  • welche Abteilungen eine Schlüsselrolle im Unternehmen spielen und welche zu wenig ins Spiel kommen.

Die Netzwerkbrille lenkt den Blick weg vom Einzelnen hin zu den Arbeitsbeziehungen und ihren Beitrag zur Performance und Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Mit dieser systemischen Brille können Führungskräfte andere Fragen stellen und neue Antworten finden. Anstatt zu fragen „Wie trainieren wir MitarbeiterIn X um besser in im Thema Y zu werden“, stellt die ONA Fragen wie: „Wie ist MitarbeiterIn X im Wissensaustausch zu Thema Y eingebunden? Mit wem können wir ihn/sie vernetzen, um seine/ihre Expertise auf den neuesten Stand zu bringen und zu halten?“

Worin liegt die Bedeutung von organisationalen Netzwerken?

Welchen konkreten Nutzen haben nun organisationale Netzwerke zur Verbesserung der Veränderungsbereitschaft, Agilität und Innovationskraft von Unternehmen?

Die Summe der Netzwerkbeziehungen zwischen Personen, Teams oder Abteilungen innerhalb einer Organisation oder zwischen mehreren Organisationen einerseits und der Zugang zu materiellen und immateriellen Ressourcen, Wissen, Macht, Erfahrung, Expertise, Unterstützung andererseits, sind das soziale Kapital der Organisation. In dem Maße, wie Erfolg von Organisationen immer stärker von ihrem Wissen, der Innovationsfähigkeit, der Wahrnehmung von Umweltsignalen und der damit verbundenen Veränderungsbereitschaft abhängt, wächst auch die Bedeutung des sozialen Kapitals der Organisationsnetzwerke.

Die gute Nachricht ist: Jede Person im Unternehmen und damit auch jedes Unternehmen hat und nutzt Netzwerke. Sie unterscheiden sich allerdings in ihrer Qualität und Effektivität.

Ein Beispiel: In einer medizintechnischen Firma war eine kleine Gruppe von technischen Experten mit einer Problemlösung für die Anwendung von 3-D Druck zur Herstellung spezieller künstlicher Implantate beschäftigt. Als sie zu keiner befriedigenden Lösungen kamen, aktivierten sie ihr firmeninternes Netzwerk: Wer weiß etwas darüber, wie man das Problem lösen kann oder kennt jemanden, der es weiß. Über mehrere Stationen -sprich: Personen im Netzwerk – fanden sich schließlich eine interne sowie eine externe Person aus einer anderen Branche, die entscheidende Hinweise für einen Lösungsweg geben konnten.

Solche Problemlösungsnetzwerke sind in der täglichen Arbeit bei kleineren und größeren Herausforderungen in Unternehmen sehr wertvoll. Oft sagen Mitarbeiter, dass „der ganze Laden“ eigentlich nur deshalb funktioniere.

Wie nutzt man organisationale Netzwerke?

Wenn sich Netzwerke selbst organisieren, warum sollte man auf sie einwirken? Könnte dies nicht sogar schädlich sein?

Nur weil sie selbstorganisiert sind, haben organisationale Netzwerke nicht per se eine „richtige“ oder „gute“ Form.

In Abbildung 1 z.B. ist zu erkennen, dass sich Person 15 sehr weit entfernt von der Personengruppe 1-5 befindet. Aufgrund des langen Weges ist es sehr unwahrscheinlich, dass Person 15 Zugang zu deren Wissen bekommt und mit ihnen in den Austausch tritt.

Quelle:: ©Susanne Lakoni & Michael Thiel

In Abbildung 2 sind die Akteure sehr gut vernetzt und haben auf kurzen Wegen Zugang zueinander. Hier kann schnell und unkompliziert Rat eingeholt werden, Wissen geteilt oder Unterstützung gesucht werden.

Quelle:: ©Susanne Lakoni & Michael Thiel

In Abbildung 3 ist zu sehen, dass Abteilung C das Verbindungsglied zwischen den Abteilungen A, B und D ist. Über sie laufen die meisten Kontakte. Sie nimmt eine Schlüsselstellung ein, die schnell zum Kommunikationsstau führen kann. Insofern der Kontakt und Informationsfluss zwischen allen Abteilungen wichtig ist – was nicht immer der Fall sein muss-, brauchen die Abteilungen in diesem Beispiel mehr direkte Verbindungen untereinander. Das hätte zwei Effekte: Zum einen würden, wie im obigen Beispiel, agilere Arbeitsbeziehungen entstehen, zum anderen würde Abteilung C, die jetzt den Großteil der Vernetzungsarbeit leistet, entlastet. Sie würde schneller, effektiver und besser sowohl ihre eigene Arbeit als auch die Arbeit an Schnittstellen erledigen können.

Quelle:: ©Susanne Lakoni & Michael Thiel

Die Organisationale Netzwerkanalyse hat nicht zum Ziel, alle mit allen zu vernetzen. Im Gegenteil: mit der ONA lässt sich gezielt identifizieren, wo Kooperationslücken geschlossen werden sollten und wo auch keine zusätzlichen Verbindungen notwendig sind. Auch das macht Unternehmen agiler, weil sie mithilfe der Analyse den Ballast überflüssiger Kooperation und Kommunikation reduzieren können. So nutzen Unternehmen die Ergebnisse der Netzwerkanalyse z.B. um gezielt Innovatoren zusammen zu führen oder um Wissensträger zu identifizieren, die KollegInnen z.B. als Mentoren on-the-job weiter qualifizieren können.

Wie analysiert und fördert man Organisationsnetzwerke?

Führungskräfte sind oft der Meinung, dass sie wissen, wer mit wem kooperiert und kommuniziert. Sie sind regelmäßig überrascht, wenn sie dann die Ergebnisse einer ONA ihres Verantwortungsbereiches sehen.

Eine professionelle Netzwerkanalyse läuft in fünf Phasen ab:

Phase 1: Definition des Projektumfangs

Ziele, Reichweite und Beteiligte werden festgelegt. Die Formulierung der Diagnosefragen, Zugangsrechte, Vertraulichkeit und Auswertungsschritte schafft allen Beteiligten Überblick über das Vorgehen.

Phase 2: Vorbereitung der Befragung

Die Diagnosefragen sollten mit den Projektverantwortlichen des Unternehmens getestet sowie eine passende Kommunikationsstrategie entwickelt werden.

Phase 3: Durchführung der Befragung

Eine ausreichende Rücklaufquote ist entscheidend für ein verwertbares Ergebnis. Das erfordert in der Regel zusätzliche Kommunikationsmaßnahmen.

Phase 4: Auswertung

Die Auswertung beginnt unmittelbar nach Ende der Befragung. Die Daten werden in enger Zusammenarbeit mit den Projektverantwortlichen in „Landkarten“ und Schaubildern umgesetzt, die Ihnen die Schlüsselthemen der Netzwerkeffektivität und -optimierung aufzeigen.

Phase 5: Empfehlungen

Empfehlungen zur Stärkung funktionierender Netzwerkbeziehungen und Optimierung von Schwachstellen entstehen auf Grundlage der Auswertung. Sie geben Entscheidern präzise Hinweise darauf, wo Netzwerke optimiert werden können.

Die Optimierungsmaßnahmen nach einer ONA basieren auf dem Werkzeugkasten für die Entwicklung kollaborativer Organisationen und umfassen z.B. Maßnahmen wie den Aufbau von Communities of Practice, die Verankerung von Netzwerkverhalten in Personalauswahl- und Beurteilungssystem oder das Training von Netzwerkverhalten.

Netzwerke können viel leichter auf Problemlagen reagieren, neue Informationen transportieren oder innovative Lösungen entwickeln als dies über formale Abläufe und Prozesse möglich ist. Sie bilden ohne viel Aufwand eine ideale Ergänzung zur bestehenden Steuerung in hierarchischen Organisationsstrukturen. Führungskräfte sowie Verantwortliche für Change und HR sollten die ONA gezielt nutzen, um agiler zu werden und Veränderungen schneller und effektiver zu meistern.

Foto/Thumbnail:©ArturVerkhovetskiy/Depositphotos.com

Über den Autor

Michael Thiel

Michael Thiel Als internationaler Consultant und Coach berät Michael Thiel Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung von Kooperationskultur, Collective Leadership und kollaborativer Organisationsdesigns. Er ist Managing Partner von cinco.systems in Hamburg mit 30 Jahren Arbeitserfahrung in mehr als 40 Ländern und lehrt regelmäßig an Hochschulen zur Praxis von Kooperation und Vernetzung. cinco-systems.de
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