Manager sollen durch Mindful Leadership Selbstreflexion erlangen
Übermotivierte Manager haben die Tendenz, Resultate über Druck zu erzwingen und Menschen in ihrem Umfeld zu überfordern – daher ist Mindful Leadership eine gute Möglichkeit, um eine gesunde Balance zwischen persönlichen Bedürfnissen und unternehmerischen Zielen zu erreichen. Gefragt sind selbstreflektierende Manager.
«Leadership Run Amok – The Destructive Potential of Overachievers» lautet der Titel eines Harvard Business Review Artikels, der die Wirkung von höchst leistungsmotivierten Führungskräften untersucht. Das unbändige Bedürfnis von sogenannten «Macher-Typen», hochgesteckte Ziele zu erreichen, steigert die Produktivität und Innovationkraft und kann sich kurzfristig sehr positiv auf Geschäftsergebnisse auswirken. Laut den Autoren des Artikels hat eine überhöhte Leistungsmotivation aber auch ihre Kehrseiten.
Wer sehr stark und einspurig auf Umsatzziele bzw. auf Ergebnisse fokussiert, kann über die Zeit die Leistung von Mitarbeitenden, Teams und ganzen Unternehmen mindern – Mindful Leadership ist daher angesagt. Hoch leistungsmotivierte Manager tendieren dazu, Resultate über Druck zu erzwingen und die Menschen in ihrem Umfeld zu überfordern. Durch ihr Getriebensein nehmen sie die Bedürfnisse der Mitarbeitenden weniger wahr, überhören gute Ideen oder Bedenken und vergessen wichtige Informationen zu kommunizieren. Dadurch entstehen Irritationen, Misstrauen und Demotivation in ihrem Umfeld, was die Leistung und Produktivität mindert und genau das Gegenteil der ursprünglichen Intention bewirkt.
Praxisbeispiele
Nehmen wir das Beispiel eines sehr resultatorientierten CEOs aus der Biotech-Industrie. Er war aufgrund seiner Persönlichkeit so stark auf Ergebnisse fokussiert, dass er sein Management-Team bei Entscheidungen häufig überging und wichtige Informationen erst im Nachhinein kommunizierte. Sein Auftreten wurde von seiner Mannschaft als überheblich und überaus fordernd beschrieben. Zudem war er ein schlechter Zuhörer und vermittelte den Eindruck, immer alles besser wissen zu wollen. Dies führte in kurzer Zeit zu großen Spannungen, zu unstimmigen Botschaften aus dem oberen Management als Ganzes und wirkte sich in der Folge negativ auf das Engagement der mittleren und unteren Hierarchiestufen aus. Ein zu starker Fokus auf Ziele und Ergebnisse in der Zukunft und weniger auf den eigentlichen Leistungserbringungsprozess in der Gegenwart kann gefährlich sein und zur Falle werden. Mindful Leadership ist hier angesagt.
Bill George, Professor für Praktisches Management an der Universität Harvard und ehemaliger VR-Präsident und CEO von Medtronic, berichtet in seinem kürzlich erschienenen HBR-Blogbeitrag sehr offen über sein «Getriebensein» und was dies aus ihm gemacht hat. 1988 war er im Top Management von Honeywell. Gemessen an «externen Massstäben» war er höchst erfolgreich. Innerlich war er jedoch sehr unzufrieden, verspürte depressive Zustände und war zusehends erschöpft. Sein Fokus lag fast ausschliesslich auf dem Erreichen von Resultaten, um die Menschen in seinem Umfeld zu beeindrucken, seinen Marktwert zu steigern und CEO zu werden. Dabei hat er viele seiner Bedürfnisse und auch die seiner Mitarbeitenden außen vor gelassen, was sich direkt und negativ auf die Leistungsbereitschaft und Produktivität seiner Mannschaft auswirkte.
Reflexion als zentraler Faktor im Mindful Leadership
Basierend auf diesen Erfahrungen entwickelte er 2005 an der Harvard Business School den mittlerweile sehr gefragten MBA-Kurs «Authentic Leadership». In diesem Kurs lernen gestandene Führungskräfte, sich sehr kritisch mit ihren Werthaltungen, Verhaltensweisen und der Definition von persönlichem Erfolg auseinanderzusetzen. Diese Art der Reflexion ist im Zuge des hohen Tempos und Drucks in Managementpositionen sehr wichtig geworden, damit eine gesunde Balance zwischen persönlichen Bedürfnissen und unternehmerischen Zielen gefunden werden kann. Nur so ist es möglich, langfristig sehr leistungsfähig zu bleiben, hoch gesteckte Ziele zu erreichen und gleichzeitig das eigene Wohlbefinden hochzuhalten.
Aufmerksamkeit auf den Moment
Um genau diesen Balanceakt zu meistern, praktiziert Bill George seit vielen Jahren sogenannte Achtsamkeitsmeditation im stillen Sitzen mit Fokus auf den Atem. Achtsamkeit kann beschrieben werden als eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit, die absichtsvoll ist, sich auf den gegenwärtigen Moment bezieht (statt auf die Vergangenheit oder die Zukunft) und nicht wertend ist. Wenn wir achtsam sind, sind wir uns darüber im Klaren, welche Gedanken, Emotionen und Körperempfindungen wir im Moment haben und wie wir darauf reagieren.
Die meiste Zeit sind wir uns dieser Dinge jedoch nicht bewusst und handeln basierend auf bestehenden Bewertungsmustern auf ähnliche Weise mit ähnlichen Ergebnissen. Aus Sicht einer hohen Leistungs- und Ergebnisorientierung scheint Achtsamkeitsmeditation während täglich 20 bis 30 Minuten Zeitverschwendung zu sein, weil man «nur» still sitzt und keinen Output im klassischen Sinne produziert. Dieser «Akt» des Stillsitzens lehrt uns jedoch eine entscheidende Lektion: Wenn wir innehalten und unsere Aufmerksamkeit zum Beispiel bewusst auf unseren Atem lenken, erkennen wir, dass diese meist ruhelos herumwandert und wir uns laufend in unseren eigenen Gedanken, Bewertungen, inneren Dialogen, konstruierten Geschichten und Emotionen verlieren, ohne dass wir uns diesen wirklich bewusst sind. Wenn es uns in wichtigen Situationen mit Mitarbeitern, Kunden oder Lieferanten nicht gelingt, unsere Aufmerksamkeit bewusst auf den gegenwärtigen Moment und auf unser Gegenüber zu fokussieren, werden wir von unseren bestehenden Denk- und Reaktionsmustern bestimmt (Autopilot), nehmen Situationen verzerrt wahr und verlieren somit an Klarheit und Entscheidungskraft.
Erweiterung der Perspektive
Achtsamkeit ermöglicht uns eine Erweiterung der eigenen Perspektive. Diese Fähigkeit wird als eine Form der Wahrnehmung auf der Meta-Ebene beschrieben. Wenn wir systematisch Achtsamkeit trainieren, werden wir schrittweise in jedem Moment zum Beobachter unseres Lebens. Es findet sozusagen ein «Shift» vom Subjekt (Ich bin der Gedanke und er ist Realität) zum Objekt (Ich habe den Gedanken und er ist ein Konstrukt des Geistes) statt. Wir identifizieren uns demnach weniger mit unseren eigenen positiven, neutralen oder negativen Bewertungen und nehmen Dinge weniger persönlich. Wenn wir achtsam sind, leben wir in der unmittelbaren Erfahrung und nicht im konzeptionellen und mit «Vorurteilen» behafteten Denken.
Die richtigen Fragen stellen
Achtsamkeit als Meta-Fähigkeit zur Selbstreflektion hilft uns, die Welt unvoreingenommener und klarer wahrzunehmen. Wenn wir die Welt um uns herum klarer sehen, beginnen wir, die richtigen Fragen zu stellen:
- Handle ich in Übereinstimmung mit meinen persönlichen Werten?
- Wie gut bin ich in der Lage, meinen Stresslevel bewusst zu steuern? Wie fühlen sich zurzeit die Leistungsträger in meinem Team?
- Welche unausgesprochenen Signale erhalte ich von meinen Mitarbeitern?
- Höre ich wirklich zu oder interessiert mich von Anfang an nur meine Version der Realität?
Achtsame Führungskräfte beginnen, sich solche Fragen zu stellen und übersehen dadurch weniger häufig geschäftskritische Signale. Sie sind in Berührung mit dem Puls der Organisation, den Herausforderungen und den Mitarbeitenden. Dies nehmen die Mitarbeiter wahr, was wiederum zu mehr Vertrauen und besseren Beziehungen führt. In einem vertrauensbasierten Umfeld erhalten sie zudem ehrlicheres Feedback und können sich so kontinuierlicher verbessern.
Professor Richard Boyatzis, Organisationspsychologe an der Case Western Reserve University in Ohio, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit achtsamer Führung und beschreibt Achtsamkeit als eine Schlüssel-Führungskompetenz wie folgt (Übersetzung): «Achtsame Führungskräfte haben ein grösseres Repertoire an angemessenen Handlungsmöglichkeiten. Sie nehmen innere Impulse rascher wahr und können aus einer sich selbst beobachtenden Haltung heraus bewusster entscheiden, wie sie situativ und optimal reagieren wollen. Zudem schaffen sie es besser, bei sich selbst und ihren Bedürfnissen zu sein, ohne sich verstellen zu müssen. Sie präsentieren sich deshalb authentischer und berechenbarer. Mitarbeitende vertrauen Vorgesetzten, wenn deren Verhaltensweisen mit den von ihnen geäußerten Werten übereinstimmen und deren Meinungen sich nicht laufend verändern. Zudem sind achtsame Führungskräfte stärker mit der eigenen Intuition in Berührung und weniger stressanfällig. Dies hilft ihnen, Situationen und Menschen besser einschätzen zu können und sich gleichzeitig den eigenen, die Entscheidung verzerrenden Projektionen bewusst zu werden. Auf diese Weise werden bessere Entscheidungen gefällt, wodurch wirksame Führung zum Ausdruck kommt.»
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