Personaldiagnostik: Bedarf erkennen – Potentiale richtig einschätzen
Steht die Neubesetzung einer Stelle an, haben es Unternehmen nicht leicht. Ob externe Bewerber oder interne Ausschreibung, der Wettbewerb um „High Potentials“ ist stark und die Gefahr von teuren Fehlinvestitionen hoch.
Hinzu kommt, dass sich Bewerber zunehmend das Unternehmen aussuchen. Die richtigen Mitarbeiter zu finden ist also nicht mehr nur eine Frage der sauberen Bedarfsklärung und professionellen Personalauswahl, sondern beginnt deutlich früher: Immer öfter übernimmt die Führungsqualität eine Marketingrolle und ist ausschlaggebend dafür, dass attraktive Bewerber Interesse am Unternehmen entwickeln und jeder Topf den passenden Deckel findet… und umgekehrt!
Die sieben wichtigsten Aufgaben des Employer Branding und damit verbundene Fragestellungen lauten:
- Mitarbeiter-/Bewerberbefragung: Wie steht es um die Innen- und Außenstrahlung der Marke?
- Definition des Markenkerns: Welches spezifische Signal sollen die Mitarbeiter aussenden?
- Personalmarketing: Wie kann sich das Unternehmen für die richtigen Kandidaten attraktiv machen, ohne sich zu verstellen?
- Personalauswahl: Wie lassen sich geeignete Markenbotschafter identifizieren, die die Markenwerte verkörpern können, ohne sich verstellen zu müssen?
- Personalenwicklung: Wie lassen sich Markenbotschafter an das Unternehmen binden?
- Markenkommunikation: Wie können überzeugte Mitarbeiter verstärkt im Außenkontakt eingesetzt werden?
- Personaltrennung: Wie geht das Unternehmen mit Mitarbeitern um, von denen es sich trennen muss?
Das Feld der Diagnostik, um bei Personalentscheidungen die Spreu vom Weizen zu trennen, ist groß. Ebenso breit ist die mögliche Maßnahmenpalette: Um Leistungs- und Potentialaussagen zu treffen, werden Assessment-Center eingesetzt, strukturierte Interviews durchgeführt, mit 360-Feedbacks die Führungsqualität eingeschätzt oder anhand von Online-Tests z. B. die komplexe Problemlösekompetenz erfasst. Doch eigentlich beginnt eine strukturierte Personalauswahl und –entwicklung bereits viel früher mit der Erarbeitung des Anforderungsprofils. Nur wenn der Bedarf genau bekannt ist und auch an richtiger Stelle kommuniziert wird, haben Unternehmen und Bewerber überhaupt eine Chance, zueinander zu finden.
Folgende fünf Schritte bauen in einer umfassend verstandenen Personaldiagnostik sinnvoll aufeinander auf:
- Anforderungen des Unternehmens analysieren (Qualität und Menge)
- Anforderungen der Zielgruppe kennen und Zielgruppenansprache darauf abstellen (Inhalte und Medien)
- Leistungsfähigkeit und Potential von Bewerbern mit geeigneten Verfahren einschätzen
- Ergebnisse dokumentieren und Entwicklungsmaßnahmen ableiten
- Beteiligte Führungskräfte und Personaler qualifizieren
Und hier schließt sich der Kreis auch schon wieder: Denn je fundierter das Bild ist, das im Unternehmen von der Leistungsfähigkeit und dem Entwicklungspotential der Mitarbeiter vorliegt, umso leichter ist es, offene Stellen mit geeigneten Bewerbern zu besetzen. Potenzialträger sind bekannt und können z. B. gezielt angesprochen werden, was nicht zuletzt deren Bindung an die Organisation fördert.
Wichtig in Unternehmen ist es, das richtige Maß an Diagnostik zu finden: Zu wenig Diagnostik ist ebenso schädlich wie zu viel. Diagnostik dient einem Zweck (Auswahl, Personalentwicklung u. a.), sollte also immer eingebettet sein in die Fragestellung „Was passiert vorher – was danach?“
Anwendungsfelder von Personaldiagnostik
Eignungsdiagnostik kommt nicht nur zum Tragen, wenn Führungsstellen neu zu besetzen sind oder Unternehmen mit Einstellungsfiltern die Flut von Bewerbern für Ausbildungsstellen bewältigen wollen. Eignungsdiagnostik spielt auch eine Rolle, wenn es darum geht, im Kreis bestehender Stelleninhaber Potentialträger zu identifizieren und zu halten. Diese verlassen häufig ihr Unternehmen, wenn sie keine Perspektive aufgezeigt bekommen. Gerade hier spielt die Diagnostik und darauf aufbauende Förderung eine wichtige Rolle, um die richtigen Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Ein weiteres Anwendungsfeld entsteht im Rahmen von Change-Prozessen: Verändern Unternehmen z. B. ihre Strukturen, stehen häufig Fragen im Raum, wie „Passen meine Mitarbeiter bzw. Führungskräfte noch?“ oder „Wer passt am besten an welchem Platz?“ Im Falle von Fusionen ist häufig die Entscheidung zu treffen, welcher der beiden Chefs für eine zukünftige Managementrolle im neuen Unternehmen der bessere ist. Diese Entwicklung soll verständlicherweise gezielt (weil teuer) stattfinden.
Nutzen einer professionellen Potenzialeinschätzung
Es gibt verständlicherweise viele standardisierte Verfahren im Bereich Diagnostik. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, wie individuell doch die einzelnen Aufgabenstellungen sind bzw. die vorhandene Ausgangslage im jeweiligen Unternehmen ist.
Um die Aussagekraft der Verfahren einerseits und die Akzeptanz bei allen Beteiligten andererseits sicherzustellen, sollten Unternehmen darauf achten, dass
- die Verfahren an den spezifischen Anforderungen der Position und des Unternehmens ausgerichtet werden
- die Führungskräfte einbezogen werden, um deren Identifikation mit dem Ergebnis sicher zu stellen
- eine gründliche Vorbereitung (ggf. Schulung aller Mitwirkenden) stattfindet
- durch eine offene Information über das Verfahren absolute Transparenz und Fairness gegenüber den Teilnehmern gegeben ist
- eine differenzierte Rückmeldung an die Teilnehmer sowie eine Ergebnisdokumentation gegeben ist
- das Verfahren machbar und praktikabel ist und das Unternehmen nicht überfordert wird
Dann ist der Nutzen für die Unternehmen entsprechend hoch: Eine systematische Potenzialeinschätzung führt zu einer treffsicheren Erkennung von Top Performern und damit zu einer besseren Zielorientierung sowie höheren Leistungsfähigkeit des einzelnen Mitarbeiters und des gesamten Unternehmens. Eine darauf aufbauende professionelle Fach- und Führungskräfteentwicklung schafft mehr Zufriedenheit bei Top Performern und somit eine höhere Bindung dieser Zielgruppe an das Unternehmen.
Diagnostik – Vier Anwendungsfelder im Detail
1. Auswahl von Bewerbern
Der Trend geht vom Arbeitgeber-AC zum Bewerber-AC. Dieser Entwicklung entsprechend, prüfen schon heute oft die Bewerber mehr die Unternehmen, als umgekehrt. Unternehmen sollten deshalb darauf achten, dass Bewerber ihrerseits ausreichend Informationen erhalten und Eindrücke sammeln können. Außerdem sollten sie immer im Blick haben, dass Bewerber zugleich potentielle Kunden sind. Akzeptanz zu schaffen sowie eine gute Behandlung hat sich hier schon oft ausgezahlt. Auf der anderen Seite sollten Unternehmen ihre Anforderungen genau kennen, damit nicht nur irgendwas geprüft wird. Die Entscheidung, was eingeschätzt werden soll, liegt einzig und allein beim Unternehmen und nicht dem externen Berater. Handelt es sich um die Neubesetzung einer Stelle, sollte – nach Möglichkeit und um die Akzeptanz zu erreichen – auch der spätere Vorgesetzte eingebunden werden. Die besten AC-Ergebnisse helfen nicht, wenn der Vorgesetzte ein Grummeln im Bauch hat! Dann hilft immer noch ein offenes und faires Feedback als Form der Wertschätzung. Abschließend noch ein Tipp für Unternehmen: Je höher die Hierarchie, desto geringer die Akzeptanz für Auswahlverfahren. Diese reduzieren sich dann häufig auf Interviews sowie Präsentationen und Referenzen.
2. Entwicklung von Mitarbeitern
Im Gegensatz zu der Auswahl von Bewerbern, sind hier gleiche Bedingungen weniger wichtig – vielmehr müssen diese bei der Entwicklung von Mitarbeitern sogar individuell angepasst werden. Um gezielt zu schulen, werden hier Stärken und Lernfelder in den Blick genommen. Aber Achtung: Zunächst einmal muss auch hier für Akzeptanz im Unte
rnehmen gesorgt werden. Gerade beim Einsatz von externen Diagnostikern, kann es passieren, dass Führungskräfte nachfragen „Warum brauchen wir einen externen Diagnostiker? Wir kennen doch unsere Mitarbeiter am besten und wissen, was sie brauchen!“ Eine weitere Problematik ist, dass in Unternehmen zwar oft diagnostiziert, dann aber nicht konsequent Personalentwicklung betrieben wird. Um Frust bei den Mitarbeitern zu vermeiden, muss also unbedingt auf die Umsetzung geachtet werden.
3. Nächster Karriereschritt/Beförderung – ja oder nein?
Führungskräfte denken oft, „Wir wissen schon, wer der richtige ist.“ Dabei ist dies aus der Organisation heraus oft gar nicht so eindeutig zu sagen. Auch hier handelt es sich also um ein Akzeptanzthema. Damit Mitarbeiter die Ergebnisse (vor allem negative) akzeptieren können, müssen die Methoden nicht nur prognostisch aussagekräftig (= wer im Verfahren positive Ergebnisse erzielt, erzielt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Job gute Ergebnisse), sondern auch augenscheinvalide sein (= das Verfahren misst erkennbar, also nach Augenschein, was es vorgibt zu messen). Diesen Anspruch erfüllen nicht alle Verfahren.
4. Berufliche Ausrichtung
Wo ein Mitarbeiter sich hinentwickeln kann und soll, ist oft weder für ihn selbst noch für seinen Vorgesetzten offensichtlich. Im Gegensatz zu den USA werden bei uns in Europa aber Persönlichkeitstests immer noch kritisch betrachtet. Nach dem Motto: „die sind nicht gesichert“ oder „da kann man das Ergebnis fälschen“ ist die Herausforderung, den Beteiligten zu vermitteln, dass eine berufliche Ausrichtung, soll diese erfolgreich verlaufen, immer auch etwas mit Neigungen und Persönlichkeit zu tun hat. Anders als in einem Personalauswahlprozess sind für einen Klärungs- und ggf. Coachingkontext Persönlichkeitstests deshalb unbedingt zu empfehlen.
Je tiefer man in das Themenfeld Diagnostik einsteigt, umso deutlicher wird, dass diagnostische Verfahren nur im Einzelfall losgelöst von anderen Prozessen eingesetzt werden sollten. Um Potentiale im Change zu erkennen und das Unternehmen gemeinsam mit der Führungsebene sowie allen Mitarbeitern für die Herausforderungen der Zukunft zu wappnen, ist eine ganzheitliche Betrachtung der Bereiche Personaldiagnostik, Personalentwicklung sowie Organisationsentwicklung unerlässlich. Nur so kann ein innovatives und nachhaltiges Wirken eines Unternehmens garantiert werden.
Für Unternehmen ist es immer mehr von elementarer Bedeutung, (Führungs-) Potential zu erkennen und gute (Nachwuchs-) Kräfte zu binden. Dies geschieht meist mit Hilfe von unterschiedlichen personaldiagnostischen Instrumenten und dem Angebot individueller Maßnahmen. Werden an dieser Stelle ein stellenbezogenes Anforderungsprofil formuliert und qualitativ hochwertige Verfahren effizient kombiniert, steht einer erfolgreichen Personalauswahl und -entwicklung in Unternehmen nichts mehr im Wege.
Autoren: Dr. Dirk Volker Seeling und Regina Remy, personal-point GmbH
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