Mythos Teamarbeit
Keine andere Arbeitsform wurde in den vergangenen Jahren so stark propagiert und glorifiziert wie die Teamarbeit. Doch inzwischen ist in den meisten Unternehmen eine gewisse Ernüchterung eingekehrt. Unter anderem weil die betriebliche Praxis zeigt: Teamarbeit ist kein Allheilmittel. Und: Bis ein Team funktioniert vergeht Zeit.
Welche Mitarbeiter der Unternehmen müssen „teamfähig“ sein? Fast alle – wenn man den Stellenanzeigen glaubt. Ganz gleich, ob in ihnen ein Polier für einen Bautrupp, ein Art-Direktor für eine Werbeagentur oder ein Controller für ein Produktionsunternehmen gesucht wird, meist lautet eine Anforderung an den neuen Mitarbeiter: Er sollte teamfähig sein.
Dass der Begriff Team so inflationär gebraucht wird, hat laut Elisabeth Heinemann, Professorin für Schlüsselqualifikationen an der Fachhochschule Worms, unter anderem folgenden Grund: Die Arbeitsstrukturen und -beziehungen in den Unternehmen haben sich gewandelt. „Heute wird in den meisten Betrieben viel bereichs- und funktionsübergreifender gearbeitet als noch vor zehn Jahren“, konstatiert sie. „Die einzelnen Aufgaben werden nicht mehr in so viele Teilaufgaben zerlegt, die Einzelpersonen zugewiesen werden. Vielmehr sollen mehrere Mitarbeiter diese gemeinsam lösen. Hierfür sind Mitarbeiter mit anderen Denk- und Verhaltensstrukturen nötig.“
Ähnlich sieht dies Professor Dr. Karl Müller-Siebers, Präsident der Fachhochschule für die Wirtschaft, Hannover. „Gefragt sind heute Mitarbeiter, die über ihre Schreibtischkante hinausblicken und begreifen, dass sie einen wichtigen Beitrag innerhalb eines Gesamtprozesses leisten. Das müssen sie beim Erfüllen ihrer Aufgaben vor Augen haben. Sonst produzieren sie Insellösungen, die nicht zusammen passen.“
Team-Euphorie flaut ab
Seit einigen Jahren kann man jedoch ein Abflauen der Team-Euphorie spüren – „auch, weil manch Unternehmen mit der Teamarbeit negative Erfahrungen gesammelt hat“, wie Müller-Siebers betont, „insbesondere solche, die die Teamarbeit relativ unreflektiert aus Modegründen eingeführt haben.“ Sie stülpten diese Form der Zusammenarbeit ihren Mitarbeitern oft einfach über – „ohne sich zunächst bewusst zu machen, was Teamarbeit bedeutet und wann diese sinnvoll ist“.
In manch Unternehmen war das „Ja“ zur Teamarbeit auch nur ein Lippenbekenntnis. Dieser Auffassung ist Stefan Bald, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal: „In vielen Branchen und Unternehmensbereichen besteht zwar ein objektiver Zwang zu mehr Gruppen- und Teamarbeit. Trotzdem wird in den meisten Organisationen Verantwortung immer noch fast ausschließlich Individuen übertragen.“ Und doch verkünden ihre Personalverantwortlichen stolz: Wir praktizieren Teamarbeit. Fragt man dann aber nach, was Teamarbeit bedeutet, hört man oft nur Worthülsen.
„Der Begriff Teamarbeit hat sich zu einer Leerformel entwickelt“, kritisiert denn auch Rainer Flake, Geschäftsführer der WSFB Beratergruppe Wiesbaden. „In manchen Unternehmen wird jede Form der Kooperation als Teamarbeit bezeichnet; andere verstehen darunter eine hochspezialisierte Form der Zusammenarbeit bei der mehrere Experten gemeinsam komplexe, alleine nicht lösbare einmalige Aufgaben bewältigen.“ Entsprechend schwer lassen sich Team-, Gruppen- und Projektarbeit von einander abgrenzen.
Eine Gruppe ist nicht gleich ein Team
„Eine Gruppe ist eine Ansammlung von Individuen. Ein Team hingegen zeichnet sich durch eine gemeinsame Kultur aus“, wagt Flake eine erste Begriffsklärung. Ähnlich äußert sich Stefan Bald: „Ein Team entsteht erst im Verlauf eines längeren Teambildungsprozesses. In einem Team sind Kompetenzgerangel und Positionierungskämpfe bereits abgeschlossen. Deshalb ist ein Team im gruppendynamischen Prozess weiter als eine Gruppe.“ Auch für Julia Voss, Geschäftsführerin des Trainingsunternehmens Voss+Partner, Hamburg, ist ein Team mehr als ein lockerer Zusammenschluss einzelner Individuen, die gemeinsam eine Aufgabe zu erfüllen haben. Ein Team zeichnet sich für sie unter anderem „durch die Fähigkeit zur Selbstorganisation und wechselseitiger Inspiration aus. Eine Gruppe dagegen bekommt Regeln und Ziel vorgegeben.“
Eher pragmatisch äußert sich Werner Ollechowitz, Bereichsleiter Personal bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall: „Die Diskussion, ob man eine Arbeitsform nun Gruppen- oder Teamarbeit nennt, ist eine akademische. Für den betrieblichen Alltag ist wichtig, dass die Personalverantwortlichen die gewünschte Form der Zusammenarbeit genau definieren und die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit diese gelebt wird.“
Was macht also ein Team zu einem Team? Einig sind sich die Experten: Ein Team braucht ein Ziel. Sonst ist es nicht arbeitsfähig. Für Stefan Bald sind weitere Faktoren wichtig. Unter anderem sollten die Rollen und Aufgaben der einzelnen Teammitglieder genau definiert sein. Außerdem sollte ein Zeitrahmen für das Erfüllen der Aufgabe vorgegeben sein. Zudem braucht ein Team vereinbarte Regeln für die Zusammenarbeit. Und allen Teammitgliedern sollte bewusst sein: Wir tragen gemeinsam die Verantwortung für eine bestimmte Aufgabe.
Jedes Team benötigt einen Team-Leader
Einig sind sich die Befragten auch: Ein Team braucht einen Leader. Er muss die Teamarbeit steuern und koordinieren und die Mitglieder integrieren. Der Teamleiter muss jedoch nicht das „disziplinarisch hierarchiehöchste Teammitglied sein“, betont Stefan Bad. Im Idealfall schält er sich vielmehr sogar erst im Laufe des Teamfindungsprozesses in der Gruppe heraus. Er wird also nicht von außen ernannt.
Hier liegt für Rainer Flake denn auch ein entscheidender Unterschied zwischen einer Gruppe und einem Team. „Ein Team bestimmt die Rollen und Aufgaben der einzelnen Mitglieder selbst; außerdem definiert es selbst die Regeln für die Zusammenarbeit.“ Dieser Selbstorganisationsprozess läuft nicht automatisch ab. „Er wird stets von Leuten im Team angestoßen.“ Davon ist Flake überzeugt. Deshalb entwickelt sich seines Erachtens in jedem Team auch eine Hierarchie – „zumindest eine informelle. Fehlt diese, sind Teams nur begrenzt arbeitsfähig.“
In der Praxis setzen die Unternehmen der Selbstorganisation von Teams oft enge Grenzen. Im Extremfall stellt sich ein Vorgesetzter vor seine Mitarbeiter und verkündet: Ab morgen sind wir oder seid ihr ein Team. Er gibt sich also der irrigen Hoffnung hin, die gewünschte Teamgeist falle sozusagen über Nacht vom Himmel. Ähnlich ist es oft, wenn Unternehmen Projektteams bilden. Dann wird in vielen Organisationen zunächst der Teamleader ernannt. Für diesen wird dann ein Team zusammengestellt, oder der Leiter stellt sich dieses selbst zusammen. Meist erfolgt dann das Zusammenstellen des Teams nach folgenden Kriterien: Mit wem kommt der Teamleader am besten klar? Und: Wer hat gerade Zeit.
„Die Aufgabe selbst spielt beim Zusammenstellen der Teams oft eine untergeordnete Rolle“, kritisiert Jürgen Rohr, Inhaber der Projektmanagementberatung Vedanova, Wiesbaden. „Die Personalverantwortlichen betonen zwar immer wieder, wie wichtig die Auswahl der Teammitglieder für den Erfolg der Teamarbeit sei, im Alltag wird diese Erkenntnis aber oft vernachlässigt.“
Eine Ursache hierfür ist, dass es zwar durchaus Instrumente zum Zusammenstellen von Teams gibt. Über die Aussagekraft dieser Test- und Analyseverfahren streiten sich aber die Geister. Prof. Müller-Siebers sieht in ihnen primär Hilfsmittel: „Ein Team kann man nicht mechanisch nach dem Schema‚ man nehme einen Tüftler, einen Ausarbeiter und einen Vernetzer und fertig ist das perfekte Team, zusammenstellen. Solche Verallgemeinerungen funktionieren nicht.“ Trotzdem wird in der Praxis oft so verfahren.
Teams müssen sich entwickeln
Damit aus Einzelkämpfern Teams werden, ist vor allem Zeit nötig. Denn jedes Team durchläuft bei seiner „Selbstfindung“ mehrere Phasen. Darauf weist Rainer Flake hin. Bruce W. Tuckmann nannte diese „Forming“ (Orientierungsphase), „Storming“ (Konfliktphase), „Norming“ (Organisationsphase) und „Performing“ (Integrationsphase). In den ersten drei Phasen ist das Team noch weitgehend mit sich selbst beschäftigt. Entsprechend schlecht sind meist seine Arbeitsergebnisse. „Sie sind in der Regel geringer, als wenn die Mitglieder alleine arbeiten würden“, betont Flake. „Erst in der vierten Phase entwickelt das Team die Kreativität und Produktivität, die erfolgreiche Teams auszeichnen – jedoch nur, wenn das Team mit Erfolg die ersten drei Phasen durchlaufen hat.“
Damit dies geschieht, ist in der Regel eine Begleitung der neuformierten Teams durch professionelle Coaches oder Teamentwickler nötig. Eine solche Betreuung ist nicht selbstverständlich. Dabei liegen ihre Vorteile „auf der Hand“, wie Helmut Fuchs, Cheftrainer der TAM Trainer Akademie München, Fulda, betont. „Für die Team-Mitglieder selbst ist oft nicht erkennbar, welche Probleme sich bereits im Vorfeld abzeichnen. Ein externer Coach kann diese, weil er nicht Teil des Findungsprozesses ist, hingegen wahrnehmen und gegensteuern.“
Bewährt haben sich auch flankierende Maßnahmen, um den Teambildungsprozess abzusichern. „Wir haben zum Beispiel mit erlebnisorientierten Trainings, die In- und Outdoorelemente kombinieren, gute Erfahrungen gesammelt“, berichtet Fuchs. Das bestätigt Werner Ollechowitz. Auch bei Schwäbisch Hall besuchen neu formierte Teams in der Regel zunächst Seminare, um den Teambildungsprozess zu beschleunigen. „Bei strategisch wichtigen Projekten schicken wir die Teammitglieder zuweilen auch zu Outdoor-Seminaren. Dort zeigt sich meist schnell, wer welche Funktion im Team übernehmen kann.“ Solche Fördermaßnahmen stellen zudem sicher, dass die Teams sich, wenn ihre eigentlich Arbeit beginnt, nicht mehr durch Status-Kämpfe oder unterschwellige Konflikte selbst lahm legen. Diese Dinge sind dann abgehakt.
Besonders geeignet für komplexe Aufgaben
Generell lässt sich feststellen: Insbesondere bei komplexen Aufgaben und Arbeiten mit ungewissem Ausgang setzen Unternehmen auf Teams. Teams für Routinearbeiten einzusetzen, erscheint den meisten Experten absurd. „Teamarbeit bewährt sich vor allem dann, wenn harte Nüsse zu knacken sind“, betont Stefan Bald. Eine solche Herausforderung kann zum Beispiel die Umstrukturierung von Unternehmensbereichen sein. Zum Knacken von solch harten oder komplexen „Nüsse“ ist meist „das Expertenwissen vieler Spezialisten nötig. Dieses muss sozusagen zusammenfließen“, betont Jürgen Rohr. Genau dies soll bei der Teamarbeit geschehen. Hier soll Wissen gebündelt und vernetzt werden. So können unter anderem Fehler vermieden werden, die entstehen, wenn Aufgaben sozusagen im Umlaufverfahren statt gemeinsam gelöst werden.
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