Führungskräfte müssen alle Mitarbeiter vor sexueller Belästigung schützen
Die Aufhebung von Hierarchien, erhöhter Alkoholkonsum, die Lockerung der Moral und ausgelassenes Feiern sind Elemente, die auch den heutigen Karneval prägen und von einzelnen Vorgesetzten und Mitarbeitern leider oft falsch verstanden und übertrieben werden.
Der Verband DIE FÜHRUNGSKRÄFTE – DFK mahnt gerade an den „tollen Tagen“ zur Vorsicht. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet jede Form der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz und schützt Beschäftigte teilweise über das Straf- und das Zivilrecht hinaus, da man am Arbeitsplatz der belästigenden Person nicht aus dem Weg gehen kann. Das AGG verpflichtet jeden Arbeitgeber, vorzubeugen und einzugreifen, wenn es zu Übergriffen kommt.
Was viele nicht wissen der Schutz des AGG beschränkt sich nicht nur auf das Büro, das Unternehmensgebäude oder die Arbeitszeit, sondern verbietet jede Form der sexuellen Belästigung die innerhalb eines Arbeitsverhältnisses stattfindet. Dazu gehören auch Dienstreisen, Arbeitswege, Betriebsausflüge, Pausen und eben Firmenfeiern. Vor allem aber SMS, E-Mails oder Anrufe außerhalb der Arbeitszeit
Vor diesem Hintergrund sollten Beschäftigte sich aktuell auch zweimal überlegen, welche Videos, Fotos, E-Mails oder WhatsApp-Nachrichten unbedacht an Arbeitskollegen weitergeleitet oder gepostet werden. Denn gerade im „feuchtfröhlichen Treiben“ kann die Grenze schnell überschritten werden.
Rechte der Betroffenen
Die Betroffenen haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebes (Personal- oder Betriebsrat, Sprecherausschuss, Gleichstellungsbeauftragte, direkte Vorgesetzte oder Personalabteilung), des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich benachteiligt bzw. belästigt fühlen. Falls die sexuelle Belästigung vom Geschäftsführer selber ausgeht, kann auch der Betriebsrat vom Arbeitgeber (Gesellschafter) aktive Maßnahmen zur Unterbindung und zum Schutz fordern, soweit der Arbeitgeber nicht selber bereits erfolgversprechend tätig geworden ist. Der Arbeitgeber muss den Geschäftsführer für das Verhalten rügen und kann im Einzelfall auch eine Abberufung und Kündigung in Aussicht stellen.
„Hier ist auch der Arbeitgeber in der Pflicht“, so Oliver Flesch, DFK-Fachanwalt für Arbeitsrecht. Falls der Arbeitgeber keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ergreift, sind die betroffenen Beschäftigten berechtigt, ihre Tätigkeit ohne Verlust des Arbeitsentgeltes einzustellen, soweit dies zu ihrem Schutz erforderlich ist. Darüber hinaus hat der/die betroffene Arbeitnehmer/in Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche (z.B. Schmerzensgeld, Arztbehandlungskosten) und kann in schwerwiegenden Fällen auch Strafanzeige stellen. Vor diesem Schritt ist aber eine arbeitsrechtliche Beratung anzuraten.
Präventionsmaßnahmen des Arbeitgebers / Haftung bei Nichtbeachtung
Eine Verletzung der Schutzpflichten durch den Arbeitgeber nach dem AGG begründet eine Haftung des Arbeitgebers für eigenes Organisationsverschulden, auch wenn die eigentliche sexuelle Belästigung durch einen anderen Beschäftigten oder einen Dritten (z.B. Kunden) begangen wird.
Der Arbeitgeber hat ihre Geschäftsführer und andere Mitarbeiter über die Regelungen des AGG zu informieren (insbesondere im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung) und präventive Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung und sexueller Belästigung zu ergreifen. Gegen die belästigende Person kann der Arbeitgeber eine Ermahnung, Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung nach Intensität der sexuellen Belästigung aussprechen oder Hausverbote für Kunden erteilen.
Hälfte der Beschäftigten betroffen
Solche Vorkommnisse sind, so Fachanwalt Flesch, keine Einzelfälle: Nach einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2015 gaben die Hälfte der befragten Beschäftigten an, eine nach dem AGG verbotene sexuelle Belästigung selbst am eigenen Leib oder im Kollegenkreis erlebt zu haben. Viele der Befragten wussten allerdings nicht, dass der Arbeitgeber dazu verpflichtet ist, seine Beschäftigten aktiv vor sexueller Belästigung zu schützen.
Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird (§ 3 Absatz 4 AGG).
Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung berücksichtigt neben den Umständen des Einzelfalles auch die Art der sexuellen Belästigung, wobei grundsätzlich drei Kategorien unterschieden werden: verbale (z.B. sexuell anzügliche Bemerkungen und Witze, Aufforderung zu sexuellen und intimen Handlungen, sexuell zweideutige Kommentare), non-verbale (z.B. Anstarren, unerwünschte E-Mails, SMS, Zeigen von Fotos oder Videos mit sexuellem Bezug, aufdringliche Annäherungsversuche in sozialen Netzwerken) und physische Belästigung (z.B. jede unerwünschte Berührung (Tätscheln, Streicheln, Umarmen, Küssen, wiederholte körperliche Annäherung, körperliche Gewalt).
„Soweit sollte es aber gar nicht erst kommen.“ Fachanwalt für Arbeitsrecht Oliver Flesch rät allen Fach- und Führungskräften sensibel mit dem Thema umzugehen: „Präventionsmaßnahmen können helfen, das Risiko von sexuellen Belästigungen im Betrieb zu minimieren. Neben der Thematisierung und Sensibilisierung der Führungskräfte und Beschäftigten gehört hierzu unter anderem auch das adäquate Ahnden von Verstößen. Dann lässt sich sicher auch ausgelassen Karneval feiern. “
Kommentare