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Die Gefahr der Austauschbarkeit

Wie Sie strategische Handlungsfelder und Alternativen finden

Christian Kalkbrenner
Am

Weniger Aufträge, ein knallharter Preiswettbewerb und weniger Umsatz. Die Wirtschaftskrise ist erbarmungslos. Sie zeigt, wie austauschbar Produkte und Leistungen sind. Kunden üben sich in Verzicht oder kaufen woanders. Nach Märklin, Rosenthal und Schiesser ging vor kurzem mit dem Klavierhersteller Schimmel ein weiteres Traditionsunternehmen in die Insolvenz.

Ein bekannter Markenname, eine traditionsreiche Geschichte und die Ausrichtung auf eine „Ein-Produkt-Strategie“ sind kein Garant für das Überwinden und Überleben der Krise. Bei den oben erwähnten Unternehmen brachte die Krise das Fass nur zum Überlaufen. Die Probleme, sich am Markt ausreichend Akzeptanz zu verschaffen und die Produkte wirtschaftlich zu produzieren und zu verkaufen, bestanden schon seit Jahren. Dabei ist das wirkliche Problem nicht die Austauschbarkeit der Produkte, sondern der unvorbereitete Zustand des Unternehmens. Das Festhalten an der Tradition und der Sicht „was nicht sein kann, darf auch nicht sein“.

Zooming als Strategieinstrument

Wer nicht in diese Abwärtsspirale geraten, sondern aus eigener Kraft die Zukunft gestalten will, für den ist Zooming, das Betrachten aus der Vogelperspektive, ein perfektes Instrument zur Entwicklung einer Strategie.

Ein Beispiel: Der Geschäftsführer einer weltbekannten Softdrink-Marke fragte sein Team: „Was ist unser Anteil am Durst der Welt?“ Bei dieser Betrachtung wurde schlagartig aus 60% Marktanteil bei Softdrinks nur 0,8% Marktanteil bei allen Getränken. Und zum Wettbewerb zählten auf diese Weise plötzlich auch Tee, Kaffee, Wein, Bier und Wasser. So stellte sich fast automatisch die Frage: Welche neuen Produkte und Distributionswege brauchte das Unternehmen, um in diesem Markt ernst genommen zu werden? Rasend schnell wurde durch diese Betrachtung klar, in welche Richtung sich das Unternehmen ab jetzt weiterentwickeln sollte.

In diesem Fall zoomte der Geschäftsführer in horizontale Richtung: er betrachtete das Unternehmen aus der Vogelperspektive und vergrößerte den Markt um ein Vielfaches, indem er den Wettbewerb erweiterte.

Ein sehr anschauliches Beispiel, da es verdeutlicht, was durch diese Sichtweise möglich wird:

  • Sich aus dem bestehenden Markt in neue Märkte hinein zu bewegen.
  • Auf dem vorhandenen Know-how und guten Ruf aufzubauen.
  • Neue Anwendungsfelder zu kreieren und neue Zielgruppen zu entdecken.
  • Die vorhandenen Ressourcen in Vertrieb und Distribution zu nutzen.

Warum sollte ein neues Mineralwasser oder ein neues kalorienarmes Getränk aus dem Haus einer vertrauten Marke nicht gut schmecken? Könnte ein renommierter Autovermieter in einem am Meer gelegenen Urlaubsorten nicht auch erfolgreich Boote vermieten?

Erstaunlicherweise fällt es vielen Unternehmen schwer, in andere Branchen hineinzugehen und diese mit ihrem Know-how zu bereichern. Doch sobald das erste Unternehmen in diese Richtung geht, heißt es nachzuziehen. Warum also nicht gleich selbst den ersten Schritt machen? Und sich wie einst in der Gründerphase in einen neuen Markt hinein zu bewegen. Mit dem großen Unterschied, dass man jetzt einen guten Namen und Referenzen vorweisen kann.

Strategische Handlungsfelder

Die zuvor vorgestellte „Anteil am …“-Frage klingt sehr einfach. Doch sie setzt voraus, dass ein Unternehmen in der Lage ist, den Hauptprozess, der seinem Geschäftsmodell zugrunde liegt, in einem Satz zu formulieren. Sobald dieser Satz steht, kann die „Anteil am …“-Frage gestellt werden. Und das Unternehmen hat nun drei unterschiedliche Möglichkeiten, seinen strategischen Aktionsradius zu vergrößern:

1. Strategisches Handlungsfeld: Vertikales Zoomen

Es kann vertikal zoomen und widmet sich damit der Betrachtung der Prozessschritte bei seinen Kunden, die stattfinden, bevor, während und nachdem es seine eigene Leistung erbringt bzw. erbracht hat. Von diesen Schritten kann es systematisch mehr und mehr übernehmen. Die sogenannten „Systempartner“ basieren auf diesen Überlegungen.

Das Besondere an dieser Vorgehensweise besteht darin, die Prozessschritte möglichst filigran aufzuzeichnen und dann Leistungen zu übernehmen, die bisher noch kein anderes Unternehmen angeboten hat. Könnte der Softwarehersteller nicht auch den Vorgang der manuellen Eingabe selbst übernehmen? Könnte der Spediteur die gelieferte Anlage nicht auch gleich zusammenbauen und später auch warten? Könnte der Steuerberater neben der Buchhaltung nicht auch das Rechnungsschreiben und Forderungsmanagement übernehmen?

Wer die vertrauensvolle Beziehung zu seinen Kunden nutzt, um sich in diese Richtung zu erweitern, kann zunächst sein neues Geschäftsmodell heranreifen lassen und, wenn es sich bewährt, auch anderen Unternehmen anbieten.

2. Strategisches Handlungsfeld: Horizontales Zoomen

Es kann horizontal zoomen und befasst sich einerseits mit den alternativen Problemlösungen und Produkten der Mitbewerber, andererseits mit Trends und Entwicklungen, gegen die die eigene Leistung ausgetauscht werden könnte. Diese Sichtweise hilft, um engen oder auch preisintensiven Märkten zu entkommen. Und sie verhindert wirkungsvoll, sich auf den Verdiensten der Vergangenheit auszuruhen. Ein Paradebeispiel in dieser häufig anzutreffenden Art der Unternehmensführung war der Verfall von Polaroid und Agfa, die beide die Bedeutung der digitalen Technologie ignorierten.

3. Strategisches Handlungsfeld: Geografisches Zoomen

Es kann geografisch zoomen und die regionale Ausweitung gezielt vorantreiben. Und natürlich kann es diese drei Zooming-Varianten miteinander kombinieren. Am Ende dieser Betrachtungen wird sich jeweils ein neuer Markt abzeichnen, der um ein Vielfaches größer ist als der momentan bestehende. Das Unternehmen wird in diesem Markt zunächst nur einen kleinen Marktanteil besitzen, den es dann systematisch Schritt für Schritt zu vergrößern gilt.

Damit ist das Unternehmen gefordert, das Leistungsangebot zu erweitern, neue Produkte anzudenken, die Verkaufsargumentation neu aufzubauen und sich bei Stamm- und Neukunden mit den erweiterten, neuen Problemlösungen vorzustellen.

Die Zeitspanne zwischen dem Erkennen des neuen Marktes und dem Beschluss, in diesen einzutreten, die Leistungen entsprechend anzupassen und den Verkauf loszuschicken, beträgt nur wenige Wochen. Häufig sind alle Ressourcen vorhanden und müssen nur neu gebündelt werden. Das Unternehmen kommt in der Marktbearbeitung spürbar voran und bringt sich in eine überlegene Position, von der es nachhaltig profitiert.

Beispiel Austauschbarkeit: Wie kommt die Karibik auf den Gletscher?

Ein wohltuendes, exotisches Beispiel, wie sich eine ganze Region mit dem existenziellen Thema der Austauschbarkeit beschäftigt, ist der Skiort Ischgl in Tirol. Wenn die klimatische Entwicklung weiter so fortschreitet, muss damit gerechnet werden, dass die Klimaerwärmung die Aufrechterhaltung des Skibetriebes in 20 bis 40 Jahren nicht mehr zulässt. Aus diesem Grund gibt es eine Reihe von Initiativen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, Lösungen andenken und sammeln: von „Downhill Bubbles“ über Treppenkonzepte bis hin zu einer karibischen Badeinsel inmitten einer großen Welle werden dort neue Möglichkeiten regelmäßig thematisiert und damit gegenwärtig gehalten.

Fazit

Zooming ist ein wertvolles und schnell wirkendes Instrument, um neue, strategisch zum Unternehmen passende Handlungsfelder zu erkennen. Wer sich rechtzeitig auf diese Weise mit der eigenen Austauschbarkeit beschäftigt, kann seine Alternativen gelassen auswählen und sie pünktlich aufsetzen. Denn die Maßnahmen können dann rechtzeitig und aus eigener Kraft umgesetzt werden und auf diese Weise neues Wachstum zulassen.

 

Über den Autor

Christian Kalkbrenner

Christian Kalkbrenner Christian Kalkbrenner, Dipl.-Kfm. (univ.), ist Inhaber der KALKBRENNER Unternehmensberatung. Er ist Strategieberater aus Überzeugung und zeigt Unternehmen den Weg an die Spitze. Für seine Kunden entwirft und begleitet er seit Jahren skalierende Geschäftsmodelle, um deren Umsätze zu vervielfachen und den Unternehmenswert zu steigern.
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