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Kreativität – Wie entstehen und entwickelt man Ideen?

Bild vom Jens Uwe Meyer
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Entweder man ist kreativ oder man ist es nicht. So lautet ein weit verbreiteter Irrtum. Ein weiterer Irrtum über Kreativität: Entweder hat man einen Geistesblitz oder nicht. Die meisten revolutionären Ideen sind jedoch das Ergebnis einer systematischen Suche nach neuen Problemlösungen.

Woran denken Sie, wenn Ihnen das Wort „Kreativität“ durch den Kopf geht? Bestimmt an zwei der folgenden Begriffe: Genie, Brainstorming und herumspinnen. Wenn ja, dann sind Sie den klassischen Klischees über Kreativität aufgesessen. Sie besagen:

  • Brainstorming ist die beste Methode, um auf neue Ideen zu kommen,
  • nur Kreative und Genies können neue Ideen entwickeln und
  • kreatives Denken heißt, komplett frei und ohne jede Beschränkungen zu denken.

Vergessen Sie diese Klischees über Kreativität! Kreativität ist nicht das, was Sie vermuten.

1. Irrtum: Kreativität ist Brainstorming

Was tun Sie in Ihrem Unternehmen, um auf neue Ideen zu kommen? Vermutlich dasselbe wie die meisten Betriebe. Sie treffen sich im Team zum Brainstorming und formulieren ein Ziel. Außerdem als einzige Regel: Es gibt keine Regeln. Auch die scheinbar absurdsten Ideen dürfen geäußert werden. Dann sammeln Sie alle Vorschläge. Und schon haben Sie die gewünschten, neuen Ideen.

So zumindest die Theorie. Die Realität sieht anders aus: Ein Team trifft sich zum Brainstorming. Doch statt des erhofften reißenden Ideenflusses ist das Ergebnis ein dünnes Rinnsal. Oder: Alle gesammelten, verrückten Ideen erweisen sich im Nachhinein als unbrauchbar.

Woran liegt das? Brainstorming ist mehr ein Heilsversprechen als eine Kreativmethodik. Das Credo, das ihm zugrunde liegt, lautet: „Lass’ alles fallen und lass’ Dich ganz gehen, dann kommen die Ideen von alleine.“ Und weil Menschen gerne an Heilsversprechen glauben, hat sich das Brainstorming in vielen Betrieben sozusagen zum Standardvorgehen bei der Suche nach neuen Ideen entwickelt.

Betrachten der Probleme von verschiedenen Seiten

Dabei ist für das Entwickeln wirklich qualitativ hochwertiger, neuer (Problem-)Lösungen in der Regel ein ganz anderes Vorgehen nötig. Hierfür müssen Sie, Probleme erkennen, die andere nicht sehen, und diese Probleme von verschiedenen Seiten angehen. Hierfür müssen Sie ganz gezielt nach Inspirationen suchen und Ihre Ideen bis zum Ende durchdenken. So wie dies Thomas Edison tat. Er entwickelte mit Hilfe eines strukturierten Prozesses Ideen wie am Fließband gemäß der Maxime: „Eine kleine Erfindung alle zehn Tage, eine große Erfindung alle sechs Monate.“

2. Irrtum: Nur kreative Menschen sind kreativ

Kann man Kreativität lernen? Oder ist die Gabe, ganz neue Problemlösungen zu finden, nur außergewöhnlich begabten Menschen vorbehalten? Hirnforscher wie Gerhard Roth sagen: Ob Sie kreativ sind oder nicht, entscheiden alleine Ihre Erbanlagen. Aber kreative Fähigkeiten alleine, machen Sie noch lange nicht kreativ. Und umgekehrt: Selbst wenn Sie wenig kreativ veranlagt sind, können Sie hochkreative Dinge vollbringen. Wie ist dieser Widerspruch erklärbar?

Kreativität entsteht durch kreatives Handeln

Lange Zeit beschränkte sich die Kreativitätsforschung vor allem darauf, die Fähigkeiten des Menschen zu untersuchen. Neue Forschungsansätze der Harvard-Universität gehen jedoch in eine andere Richtung. „Kreativität ist eher ein bestimmtes Verhalten“, schreibt zum Beispiel die Harvard-Professorin Teresa Amabile, die seit mehr als 25 Jahren Kreativitätsforschung betreibt. Das heißt: Kreativ ist, wer kreativ handelt – und nicht, wer theoretisch dazu in der Lage wäre. Amabile hat den Begriff „Kreativität“ neu definiert. In ihrem „Three Component Model of Creativity“ erklärt sie Kreativität als ein Konstrukt aus kreativen Fähigkeiten, Wissen und Motivation.

Zu den wichtigsten kreativen Fähigkeiten gehört das, was der amerikanische Autor Frans Johannson „niedrige assoziative Barrieren“ nennt. Kreative Menschen, wie Thomas Edison, können problemlos Wissen aus unterschiedlichen Bereichen miteinander verknüpfen. Ein Architekt, der beim Entwerfen eines neuen Gebäudes Termitenhügel studiert, um aus den Belüftungssystemen der Natur zu lernen, hat solche niedrigen assoziativen Barrieren; ebenso ein Koch, der Austern mit Mango und Curry kombiniert oder Hummer mit Karamell überzieht.

Wissen als Voraussetzung für Kreativität

Menschen mit niedrigen assoziativen Barrieren finden Lösungen, die wenig mit dem zu tun haben, was sie bisher erlebt haben oder mit den Lösungen, die andere bereits entwickelt haben. Ihre Ideen sind neu und ungewöhnlich, und ihr Entstehen lässt sich oft nicht logisch nachvollziehen. Doch kreative Fähigkeiten alleine machen Sie nicht kreativ. Um Lösungsansätze aus unterschiedlichen Wissensgebieten kombinieren zu können, müssen Sie sich in verschiedenen Wissensgebieten auskennen. Denn wo nichts ist, kann das Gehirn auch nichts finden – selbst wenn die assoziativen Barrieren noch so niedrig sind.

Ideen entstehen durch Grenzbereich verschiedener Wissensgebiete

Neue Ideen entstehen meist im Grenzbereich verschiedener Wissensgebiete. Hierfür ein Beispiel: Was macht die Suchmaschine Google so erfolgreich? Sie findet sofort die wichtigsten Ergebnisse. Das so genannte „Page Rank“ war das, was Google zum Durchbruch verhalf. Die Grundidee von Google besteht also darin, ein bekanntes Produkt (Suchmaschine) mit einem wissenschaftlichen Prinzip zu kombinieren.

Der Ausgangspunkt hierfür war: Google-Gründer Larry Page überlegte sich, wie man die Popularität einer Webseite messen kann. Bei der Ideensuche begab er sich in die Welt der Wissenschaft. Dort gilt ein wissenschaftlicher Aufsatz dann als besonders wertvoll, wenn er häufig zitiert wird. Aus diesem akademischen Grundsatz leitete Page seine These ab: Der Wert einer Webseite steigt mit der Zahl der Links, die auf sie führen. Um diese Idee überhaupt entwickeln zu können, brauchte Page Wissen aus zwei verschiedenen Gebieten – mit technischem Wissen allein hätte es Google nicht gegeben.

Motivation als Voraussetzung für Kreativität

Der dritte und wichtigste Punkt ist Motivation. „Bis zu einem gewissen Grad kann Motivation fehlendes Wissen und fehlende kreative Fähigkeiten kompensieren“, beschreibt Amabile das Ergebnis ihrer Forschungen. Das Geheimnis vieler Genies liegt in ihrem Tatendrang. So banal es klingt: Sie hatten einfach Lust auf Ideen. Auch Unternehmen können ihre Mitarbeiter mit Hilfe von Amabiles Komponentenmodell zu mehr Kreativität bringen. Wie? Ganz einfach, indem sie eine Atmosphäre schaffen, die es Mitarbeitern ermöglicht, Wissen aus verschiedenen Bereichen zu erlangen und Ideen auszuarbeiten, die im ersten Moment schräg und schief klingen. So wie der dänische Hörgerätehersteller Oticon. Er schaffte in seiner Organisation vor einigen Jahren die festen Strukturen ab und ersetzte sie durch ein „Multijob“-Konzept. Statt in festen Abteilungen arbeiten die Mitarbeiter in autonomen Projektgruppen. Und sie übernehmen Aufgaben, für die in klassisch strukturierten Unternehmen eigene Abteilungen bestehen.

3. Irrtum: Durch Kreativtechniken wird man kreativ

„Welche Kreativtechnik macht mich kreativ?“ Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Keine! Das Wort Kreativ-„Technik“ gibt uns die Illusion, alleine mit der Wahl der richtigen Technik könne man schnell kreativ sein. Aber Kreativtechniken sind nur Denkstützen. Ohne Wissen aus verschiedenen Bereichen und ohne eine klare Motivation, Bestehendes in Frage zu stellen, gibt es keine Kreativität.

Kreativtechniken helfen Ihnen nur, den Rahmen für die Ideenfindung zu schaffen und Ihre Gedanken so zu strukturieren, dass es Ihnen möglich wird, Wissen neu zu kombinieren. Kreativtechniken funktionieren ähnlich wie ein Computerprogramm: Dateien werden auf der Festplatte immer wieder neu und anders zusammengesetzt – das ist erfolglos, wenn die Festplatte leer ist.

Die Grundlage für Ihre Kreativität tragen Sie in sich! Stellen Sie sich all das, was Sie wissen (all Ihre Erfahrungen, alle Dinge, die Sie gesehen, und alle Fehler, die Sie gemacht haben) als eine Sammlung von Puzzleteilen vor. Sie waren zum Beispiel früher Verkäufer, haben danach ein Jahr als Surflehrer gearbeitet und lassen sich jetzt zum Programmierer ausbilden. Damit haben Sie die besten Voraussetzungen, um Computerprogramme zu entwickeln, die sich durch neue Ideen zur Nutzerfreundlichkeit auszeichnen. Denn Sie wissen, wie Kunden an neue Produkte herangehen und wonach sie suchen. Außerdem haben Sie als Tauchlehrer gelernt, Menschen die Angst vor dem Neuen und Ungewöhnlichen zu nehmen.

Querkombinationen durch die morphologische Matrix

Kreativtechniken helfen, die Puzzleteile Ihres Lebens zusammenzusetzen und neu zu nutzen. Eine klassische Kreativtechnik, die durch Kombinationen funktioniert, ist die morphologische Matrix. Damit können Sie zum Beispiel neue Lebensmittel erfinden, indem Sie klassischen Produkten neue Bestandteile und Nutzenmerkmale hinzufügen.

Beispiel Morphologische Matrix

Beispiel Morphologische Matrix

Durch Querkombinationen erfinden Sie Makrelenbutter gegen Bluthochdruck, Omega 3-Butter gegen Herzkrankheiten, Johanneskraut-Eistee zur Beruhigung und so weiter. Die dahinterliegende Kreativtechnik ist eine klassische Kombinationstechnik. Sie funktioniert also nur, wenn Sie das notwendige Vorwissen haben. Das ist der zentrale Grund, warum Kreativtechniken wie Brainstorming oft wenig Früchte tragen: Den Teilnehmer fehlt das notwendige Wissen.

4. Irrtum: Kreativität bedeutet, frei herumspinnen

„Lassen Sie uns mal vollkommen frei und losgelöst von sämtlichen Restriktionen denken.“ Das klingt wie ein Erfolgsrezept für neue Ideen, führt aber geradewegs in die Kreativblockade. Pauschale Fragen wie „Welche neuen Produkte können Sie sich vorstellen?“ oder „Wie können wir unsere Produktivität steigern?“ überfordern uns zumeist, wenn sie sozusagen völlig inhaltsleer im Raum stehen.

Kreativität bedeutet, Wissen neu zu vernetzen. Um darin effektiv zu sein, muss unser Kopf zielgerichtet nach Puzzleteilen suchen können. Wenn die Fragestellungen zu offen formuliert sind, machen wir unserem Kopf das Suchen unnötig schwer. „Einschränkungen schärfen und fokussieren Probleme. Sie setzen klare Hürden, die es zu nehmen gilt und sie liefern Inspirationen,“ schrieb Marissa Mayer, Entwicklungschefin von Google, in einem Fachartikel. Sie berichtet von einer Begegnung, die sie mit Paul Beckett hatte, einem Künstler, der Skulpturen herstellt und sie zu Uhren weiter verarbeitet. „Warum machen Sie nicht einfach nur Skulpturen“, fragte Mayer den Künstler. „Ich mag die Herausforderung, etwas Künstlerisches zu tun, das gleichzeitig als Uhr nützlich sein muss“, lautete seine Antwort. Er forcierte seine Kreativität, indem er sich klare Beschränkungen auferlegte. Bei der Entwicklung strategisch wichtiger Ideen wie der Toolbar ging Google den selben Weg. Die verbindliche Vorgabe lautete: Die Toolbar muss für alle Browser und Auflösungen passen und darf in der ersten Version 625 Kilobyte nicht überschreiten. Damit war klar: Hier ist kein Platz für technische Spinnereien.

Ähnlich agiert der US-Flugzeugbauer Boeing. Hierfür ein Beispiel. Boeing gründete 2001 eine „Ideen-Guerilla“. Hierbei handelte es sich um ein Team von Spezialisten, die vollkommen autonom waren und neue Ideen entwickeln sollten, wie man Flugzeuge schneller und preiswerter produzieren kann. Das Team wurde legendär, denn die Zeit, in der eine Maschine gebaut wurde, konnte um 50 Prozent reduziert werden. Eines der Erfolgsgeheimnisse der Truppe war die Vorgabe: no budget. Das Wissen „Es gibt kein Budget“ zwang die Mitarbeiter, sich zu beschränken und nach der einfachsten und preiswertesten Lösung zu suchen.

5. Irrtum: Kreativität macht Menschen erfolgreich

„Wir brauchen mehr Kreativität.“ „Wir brauchen mehr Ideen.“ „Wir brauchen mehr Innovation.“ Kaum ein Kongress, auf dem nicht einer dieser drei Sätze fällt, kaum eine Managerrede, in der nicht Innovationsgeist und Kreativität gepriesen werden. Kreativität gilt als Erfolgsgarant und nur wer neue Ideen hat – so scheint es – hat Erfolg. Beides stimmt nicht.

Die Tatsache, dass jemand kreativ denkt und neue Ideen entwickelt, hat zunächst keinerlei wirtschaftlichen Wert. Käme jemand auf die Idee, alle Züge der Deutschen Bahn AG durch einen Künstler gestalten zu lassen, wäre das äußerst kreativ. Doch wie viele Menschen würden deshalb beschließen: Ich fahre jetzt öfter Bahn?

Klasse statt Masse – Weniger Ideen, dafür bessere

Ungelenkte Kreativität kann mehr schaden als nützen. Kreativität ist nur dann eine wertvolle Ressource, wenn sie in die richtigen Bahnen gelenkt wird. Thomas Edison hatte eine einfache Philosophie: „Was sich nicht verkauft, möchte ich nicht erfinden.“ Er überlegte zunächst, in welchen Feldern sich Kreativität überhaupt auszahlt, erst dann wurde er kreativ. Edison analysierte Probleme von Menschen, Schwächen von Produkten und wertete Trends aus. War er davon überzeugt, das richtige Feld gefunden zu haben, begann er, Ideen zu entwickeln.

Seien Sie skeptisch, wenn Sie wieder einmal einen Satz hören wie „Wir brauchen mehr Ideen“. Formulieren Sie ihn für sich wie folgt um: „Wir brauchen weniger Ideen, aber dafür bessere.“ Klasse statt Masse, ist gefragt. Und gute Ideen sind produzierbar – sofern entsprechend systematisch vorgeht. Das hat Thomas Edison bewiesen.

Über den Autor

Bild vom Jens Uwe Meyer

Jens-Uwe Meyer Mit seiner Gesellschaft für neue Ideen GmbH berät und trainiert Jens-Uwe Meyer das Top-Management deutscher und internationaler Unternehmen im kreativen Denken.
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Kommentare

  1. von Thomas am 11.07.2010 | 20:30

    Ein sehr guter Artikel. Ich bin durch Zufall drauf gestoßen, da ich das Problem habe, mir fallen genug neue Ideen ein, die fast alle sehr lukrativ für Unternehmen sein können, nur um diese selbst Umzusetzen, fehlt es meistens an das nötige Startkapital. Ich bin kein Freund von Brainstorming, ich nehme die Umwelt wahr. Ich suche auch nicht bewusst nach Ideen, sondern es fallen mir einfach jederzeit gute ein. Das besondere ist, ich schnappe Gedankensprünge von anderen Personen auf und entwickel daraus ein optimales Ergebnis.
    Nur eine Idee muss auch umgesetzt werden und daran schneidert es noch bei mir.

  2. von Steffi am 07.07.2019 | 11:25

    sehr guter Artikel. Mich interessiert die Primärquelle für die These von Gerhard Roth

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