Home Office und virtuelles Networking sind nicht alles
Inspiration entsteht durch unkomplizierte Austauschmöglichkeiten. Und gegenseitige Befruchtung braucht räumliche Nähe. Jeder Gedanke wird schärfer und jeder Arbeitsschritt klüger, wenn man dies mit inspirierenden Menschen teilt.
Ein virtueller Beziehungsaufbau ist besser als nix, doch physische Abwesenheit sorgt für gefühlte Distanz. Studien der Boston University haben darüber hinaus gezeigt, dass körperlich anwesende Personen tendenziell positiver beurteilt werden als virtuelle.
Auch Vertrauen entwickelt sich eher durch physische Nähe. Erst, nachdem man sich leibhaftig nahe war, sich im wahrsten Sinne des Wortes beschnuppert und begriffen hat, kann man auch auf virtuellen Zuruf hin gut zusammenarbeiten. Wen man hingegen nicht persönlich kennt, dem vertraut man eher nicht. Und wem man nicht traut, mit dem macht man keine Geschäfte.
Die Internet-Elite sucht physischen Kontakt ganz gezielt
Die Internet-Elite ist sich der Bedeutung physischer Nähe sehr wohl bewusst. Gezielt pflegt sie ihre Kontakte auch im wahren Leben, bevorzugt auf Barcamps, einer höchst interaktiven Konferenzform, wie etwa die re:publica in Berlin, zu der 2016 um die 7000 Teilnehmer kamen. Dort treffen sich Netzaktivisten, Blogger, Online-Marketer, PR-Profis, Medienvertreter und digitale Influencer ganz real.
Sie alle wissen: Rein onlinebasiertes Netzwerken alleine reicht eben nicht. Auf der weltweiten Developer Konferenz von Apple (WWDC) kommen jährlich über 5000 Digitalexperten zusammen, um über neue Entwicklungen zu diskutieren. Ähnliches passiert auf Googles jährlicher I/O Konferenz. Auch auf klassischen Kongressen und Branchenmessen stellen Insider fest, dass sie in erster Linie nicht der fachlichen Arbeit, sondern vor allem dem Netzwerken dienen.
Im Silicon Valley steht Physisches sehr hoch im Kurs
Selbst am digitalsten aller Orte, im Silicon Valley, steht Physisches sehr hoch im Kurs. Christoph Keese, der für die Recherche zu seinem Buch “Silicon Valley”. im Mekka der Internetwelt gelebt und nach Erfolgsmustern gesucht hat, fand es dort gar nicht so digital. Seine Eindrücke beschreibt er so:
„Alle Firmen, die ich besuchte, legen Wert auf Dichte. Physische Nähe, glauben sie, ist so wichtig wie die Abwesenheit allzu strenger Regeln. Räumliche Distanz behindert Kreativität, ebenso wie steifer gesellschaftlicher Umgang oder soziale Konvention. Vorschriften töten Ideen. Menschen werden kreativ, wenn sie beruflich so arbeiten dürfen, wie sie privat leben: eng verwoben, in freundschaftlichem Abstand, im ständigen Dialog, im freien Spiel der Ideen, ohne Angst vor Bestrafung durch eine höhere Distanz.“
Dies ist alles in allem auch ein sehr schönes Rezept, wie Arbeiten 4.0 aussehen kann. Denn wer die Zukunft erreichen will, braucht zuallererst Innovationen in der Art und Weise, wie man sein Unternehmen managt und führt.
Kreativität kann sich nur in Freiräumen entfalten
Kreativität, die Schlüsselressource der Zukunft, kann nur in Freiräumen entstehen. Sie ist wie eine launige Diva, die die richtigen Umstände braucht. Heiterkeit, Muße und Stress-Abstinenz gehören dazu. Arbeit muss Spaß machen, um gut zu werden. Und die Unternehmenskultur muss eine „lachende“ sein. Sein Wissen teilt man eben nur dann mit Kollegen, wenn man miteinander vertraut ist und einander vertraut.
Wissensarbeiter benötigen Führungskräfte, die ihre Leute nicht beherrschen wollen, sondern optimale Rahmenbedingungen schaffen, damit sich diese voll entfalten können. Aus diesem Grund wird in Internetfirmen auch so viel Wert auf ein Wohlfühlklima gelegt. Feelgood-Manager oder interne Touchpoint Manager sorgen dafür. Nähe und Augenhöhe sind hierbei essentiell. Selbst Milliardär Marc Zuckerberg hat einen simplen Schreibtisch mitten im Kreis seiner Leute – im größten Großraumbüro der Welt.
Wann man Gedankenrohlinge mit anderen teilt
Zuckerberg hat verstanden und umgesetzt, was die Verhaltensforschung schon lange weiß: Nähe sorgt für Verbundenheit. Wer oft miteinander zu tun hat, sollte nicht nur im gleichen Gebäude, sondern möglichst auch im gleichen Stockwerk arbeiten. Wir suchen unsere Mitmenschen am ehesten auf gleicher Ebene auf. Dies ist ein Relikt aus unserer Ära als Savannenmensch.
Wir brauchen Raum um uns herum, helles warmes Licht, sinnvolle Laufwege, Kommunikationsinseln, runde Versammlungseinheiten, Rückzugs- und Erholungsorte, Kuschelecken – und Zeit für gemeinsame Plauschpausen. Kreativität entsteht ja nicht auf Kommando, wenn man am Schreibtisch grübelt, sondern immer dann, wenn unser Denkapparat sich entspannt und Gedankenrohlinge mit anderen teilt.
Schwarmintelligenz gedeiht in inhomogenen Gruppe
Der beste kreative Output kommt nicht von Eigenbrötlern im Elfenbeinturm, sondern im Getümmel umherschwirrender Ideen an inspirierenden Orten, die Vielfalt statt Einfalt gestatten. Schwarmintelligenz besagt, dass eine inhomogene Gruppe, die frei von Zwängen agiert, meistens klüger ist als das einzelne weiseste Mitglied dieser Gruppe.
Inhomogene Gruppen, in denen erstens die unterschiedlichsten Expertisen und Denkweisen zusammenkommen sowie zweitens mindestens zwei Frauen mitarbeiten und drittens Hierarchien sowie Selbstdarsteller und Egomanen keinen Zutritt haben, bringen übrigens die besten Resultate hervor. Inzwischen ist sogar erwiesen, wie Robotikprofessor Ken Goldberg verdeutlicht, dass eine Gruppe lernender Maschinen bessere Entscheidungen trifft als eine Maschine allein.
Buchtipp: Touch.Point.Sieg.Kommunikation in Zeiten der digitalen Transformation, Gabal Verlag 2016, 380 Seiten, gebunden, 29,90 Euro, ISBN: 978-3-86936-694-4, Autor: Anne M. Schüller
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