Die Leistung der Mitarbeiter durch Situatives Führen steigern
Führungskräfte müssen ihr Verhalten stets der Situation und dem jeweiligen Gegenüber anpassen. Diese These vertrat Paul Hersey, einer der Erfinder des Situativen Führens, vor über 40 Jahren. Sie ist heute – in einer Zeit, in der sich die Marktanforderungen permanent wandeln – so aktuell wie nie zuvor.
Den idealen Führungsstil gibt es nicht. So lautet eine zentrale Botschaft von Paul Hersey. Eine weitere Kernbotschaft des „Erfinders“ des Situativen Führens ist: Führungskräfte sind umso erfolgreicher, je flexibler sie im Betriebsalltag agieren. Mal gilt es, abhängig von der Aufgabe und Situation sowie dem Gegenüber, Mitarbeiter zu loben, mal zu korrigieren. Mal ist ein Unterstützen beim Erfüllen der Aufgabe richtig, mal muss die Führungskraft sich bewusst zurücknehmen.
Situatives Führen beschränkt sich oft nur auf Tagesgeschäft
Im betrieblichen Alltag reduziert sich Führung oft auf ein Anweisungen- und Feedback-geben. Auf der Strecke bleibt der Entwicklungsgedanke, der mit dem Situativen Führen verbunden ist. Eine Ursache hierfür ist: Viele Führungskräfte fühlen sich von den zahlreichen Aufgaben überfordert, die auf ihren Schultern lasten.
Deshalb fokussiert sich ihre Aufmerksamkeit auf die dringliche Tagesarbeit. Doch Vorsicht! Damit beginnt ein Teufelskreislauf. Denn fördern und entwickeln Führungskräfte ihre Mitarbeiter nicht, dann können sie ihnen auch nicht mit der Zeit mehr und komplexere Aufgaben übertragen. Also steigt sukzessiv ihre eigene Belastung. Denn im Betriebsalltag werden sie permanent mit neuen Herausforderungen konfrontiert – zum Beispiel, weil Kunden neue Wünsche und Anforderungen formulieren. Oder weil neue Technologien neue Problemlösungen ermöglichen.
Hinzu kommt: Mitarbeiter, deren Kompetenz und selbstständiges Arbeiten zu wenig gefördert wird, knabbern fortwährend am Zeitbudget ihrer Vorgesetzten – zum Beispiel durch permanente Rückfragen. Oder weil regelmäßig Nacharbeiten nötig sind. Zudem verlangsamen sich hierdurch die Prozesse.
Stufe der Selbstständigkeit beachten
In der Entwicklung von Mitarbeitern lassen sich, abhängig von ihrer Kompetenz und Leistungsbereitschaft, vier Stufen der Selbstständigkeit (Performance Readiness®) unterscheiden.
Selbstständigkeitsgrad R1
Der Mitarbeiter ist, wenn er mit einer neuen Aufgabe oder Herausforderung konfrontiert wird, weder fähig und bereit, diese zu lösen. Das heißt, ihm fehlen sowohl das nötige Können, als auch (häufig bedingt durch das fehlende Können) die erforderliche Motivation, die Aufgabe anzugehen.
Selbstständigkeitsgrad R2
Der Mitarbeiter ist zwar bereit, die neue Aufgabe oder Herausforderung anzugehen, aber ihm fehlt die erforderliche Kompetenz.
Selbstständigkeitsgrad R3
Der Mitarbeiter verfügt zwar über das nötige Können, um die neue Aufgabe oder Herausforderung anzugehen, aber ihm fehlt (zum Beispiel, weil er noch unsicher ist) die nötige Motivation.
Selbstständigkeitsgrad R4
Der Mitarbeiter hat, zum Beispiel weil er ähnliche Herausforderungen schon häufiger löste, nicht nur das nötige Können, um die Aufgabe selbstständig zu erfüllen, er ist auch dazu motiviert.
Abhängig vom Entwicklungsstand und Selbstständigkeitsgrad eines Mitarbeiters sollte dessen Führungskraft ein unterschiedliches Führungsverhalten zeigen. Dabei gilt es jedoch zu beachten: Die vier Stufen der Selbstständigkeit beziehen sich stets auf eine Aufgabe. Denn für die jeden Mitarbeiter gilt: Seine fachliche Kompetenz und Leistungsbereitschaft sind von Aufgabe zu Aufgabe verschieden. Also muss auch das Verhalten seiner Führungskraft variieren.
Den Führungsstil anpassen
Beim Führungsverhalten lassen sich zwei Grundkategorien unterscheiden: ein aufgabenorientiertes und ein beziehungsorientiertes Verhalten.
Das aufgabenorientierte Verhalten konzentriert sich darauf, wann und wie etwas getan werden sollte, und die Führungskraft gibt ein Feedback über das Ergebnis. Das Ziel eines solchen Führungsverhaltens ist es, die Kompetenz anderer Menschen zu entwickeln.
Das beziehungsorientierte Verhalten zielt auf die Eigeninitiative von Menschen und ihre Einstellung zu einer Aufgabe ab. Beispiele für ein beziehungsorientiertes, unterstützendes Verhalten sind Loben, Zuhören und Ermutigen. Entscheidend ist hier, das Einbeziehen der anderen Person in das Lösen des Problems. Ein beziehungsbezogenes Führungsverhalten baut die Selbstverpflichtung der Mitarbeiter aus.
Aus den beiden Grundkategorien, aufgaben- und beziehungsorientierten Verhalten, lassen sich abhängig von deren Ausprägung und Kombination vier Führungsstile ableiten.
Stil 1 – Anweisen (S1)
Dieser Führungsstil zeichnet sich durch ein stark dirigierendes und wenig unterstützendes Verhalten aus. Der Vorgesetzte gibt dem Mitarbeiter detaillierte Anweisungen, wie eine Aufgabe zu erfüllen ist, und überwacht eng das Vorgehen und die Leistung.
Stil 2 – Überzeugen (S2)
Dieser Führungsstil wird durch ein stark dirigierendes und stark unterstützendes Verhalten charakterisiert. Der Vorgesetzte erläutert Entscheidungen, erfragt und lobt Vorschläge (selbst wenn diese nur teilweise richtig sind) und gibt genaue Anleitungen. Vom Mitarbeiter sind Ideen zum Vorgehen erwünscht. Die Entscheidungen trifft aber weiterhin die Führungskraft.
Stil 3 – Partizipieren (S3)
Dieser Führungsstil ist gekennzeichnet durch ein stark unterstützendes und wenig direktives Verhalten. Er zielt primär auf ein Stärken oder Bewahren des Mitarbeiter-Engagements ab. Wer diesen Stil nutzt, trainiert, hört zu und ermutigt, zu eigenverantwortlichen Entscheidungen und Problemlösungen.
Stil 4 – Delegieren (S4)
Dieser Führungsstil dirigiert und unterstützt wenig. Mitarbeiter sollen hier eigenständig handeln und der Vorgesetzte sorgt für die nötigen Ressourcen. Dabei gilt es zu beachten: Der Vorgesetzte bestimmt weiterhin, welche Ergebnisse gewünscht sind, und stellt sicher, dass Zielklarheit besteht. Er beobachtet zudem die Leistung.
Die Mitarbeiter gezielt fördern und entwickeln
Wenn Führungskräfte die vier Führungsstile und die Selbständigkeitsgrade ihrer Mitarbeiter kennen, können sie entscheiden, welches Führungsverhalten bei einer Aufgabe angemessen ist. Ist die Aufgabe für den Mitarbeiter neu und seine Kompetenz noch niedrig (Selbständigkeitsgrad R1), ist ein Anweisen angesagt. Bei einem Mitarbeiter, der mit hoher Bereitschaft, aber geringem Können an eine neue Aufgabe herangeht (Selbständigkeitsgrad R2), gilt es zunächst die Motivation zu erhalten. Zudem ist ein Erklären und Trainieren angesagt.
Hat ein Mitarbeiter hingegen schon gute Fähigkeiten entwickelt, scheut sich aber, diese anzuwenden (Selbständigkeitsgrad R3), dann ist primär eine mentale Unterstützung nötig. Die Führungskraft beteiligt den Mitarbeiter am Entscheidungsprozess, überlässt ihm aber die Umsetzung. Und hat ein Mitarbeiter bereits eine recht große Routine und stimmt seine Leistungsbereitschaft (Selbständigkeitsgrad R4)? Dann kann die Führungskraft die Aufgabe an den Mitarbeiter delegieren.
Durch Situatives Führen die Produktivät und Zufriedenheit fördern
Durch ein so flexibles Führungsverhalten werden die Kompetenz und das Leistungsvermögen der Mitarbeiter sukzessiv ausgebaut. Für Führungskräfte bedeutet dies: Sie müssen seltener als „Feuerwehr“ eingreifen und haben mehr Zeit für ihre Kernaufgaben. Und sie erhalten ein Vielfaches, der von ihnen in die Entwicklung der Mitarbeiter investierten Zeit zurück. Zudem steigen die Produktivität und Mitarbeiterzufriedenheit.
Dieses gezielte Befähigen und Ermächtigen der Mitarbeiter wird in unserer von einer steigenden Veränderungsdynamik geprägten Zeit immer wichtiger (Stichwort: VUCA-Welt) . Denn was wären die Alternativen hierzu? Entweder die Führungskraft erledigt mittel- bis langfristig (fast) alle Aufgaben selbst, weil den Mitarbeitern zunehmend die Kompetenz hierzu fehlt – was automatisch zu einer Überlastung der Führungskraft führt. Oder das Unternehmen stagniert in seiner Entwicklung, weshalb es irgendwann von Markt verschwindet.
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