Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit schmälert nicht die Abfindung
Wird ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, der (nur) wegen Elternzeit Teilzeit arbeitet, entlassen, wird eine Abfindung anhand des früheren Vollzeitgehaltes berechnet. Dies soll verhindern, dass Arbeitnehmer aus Angst vor Benachteiligung die Elternteilzeit nicht in Anspruch nehmen und dass Unternehmen aus finanziellen Gründen bevorzugt diese Angestellten entlassen.
EuGH: „Das liefe unmittelbar dem Zweck der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub zuwider, zu deren Zielen eine bessere Vereinbarkeit von Familienleben und Berufsleben gehört.“
Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können Gerichte der EU – Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts oder nach der Gültigkeit einer Gemeinschaftshandlung vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit, gibt aber den nationalen Gerichten Richtlinien vor. Es ist dann wieder Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Die Entscheidung des EuGH bindet aber nicht nur das nationale Gericht, dass ein Ersuchen auf Vorabentscheidung gestellt hat, sondern in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit dem gleichen Problem befasst werden.
Daher gelten die Grundsätze des Urteils auch in Deutschland, obwohl sich der dem Urteil zugrunde liegende Fall in Belgien ereignete. Eine Arbeitnehmerin war während der Elternzeit nur halbtags. Ihr wurde dann in der Elternzeit mit sofortiger Wirkung gekündigt. Der Arbeitgeber zahlte ihr eine Entlassungsentschädigung von zehn Monatsgehältern. Als Basis nahm er jedoch das Gehalt während der Teilzeitbeschäftigung. Die Arbeitnehmer klagte und forderte die Berechnung der Entschädigung auf der Grundlage des Vollzeitgehalts, das sie bezogen hätte, wenn sie ihre Arbeitsleistungen nicht im Rahmen ihres Elternurlaubs reduziert hätte.
Der Kassationshof von Belgien rief darauf hin den EuGH an. Dieser entschied:
Nach § 2 Nr. 6 der (belgischen) Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub müssen Rechte, die der Arbeitnehmer zu Beginn des Elternurlaubs erworben hatte oder dabei war zu erwerben, bis zum Ende des Elternurlaubs bestehen bleiben. Sowohl aus dem Wortlaut dieser Bestimmung als auch aus dem Kontext, in den sie sich einfügt, ergibt sich, dass ihr Zweck darin besteht, zu verhindern, dass aus dem Arbeitsverhältnis abgeleitete Rechte verloren gehen oder verkürzt werden, und zu gewährleisten, dass sich der Arbeitnehmer im Anschluss an den Elternurlaub im Hinblick auf diese Rechte in derselben Situation befindet wie vor diesem Urlaub.
In Anbetracht des mit der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub verfolgten Ziels der Gleichbehandlung von Männern und Frauen muss die Pflicht zur Beachtung der Rechte, die erworben worden sind oder gerade erworben werden, als Ausdruck eines Grundsatzes des Sozialrechts der Gemeinschaft verstanden werden, dem besondere Bedeutung zukommt und der deshalb nicht restriktiv ausgelegt werden darf. Dies betrifft
- alle unmittelbar oder mittelbar
- aus dem Arbeitsverhältnis
- abgeleiteten Rechte und Vorteile
- hinsichtlich Bar- oder Sachleistungen,
auf die der Arbeitnehmer bei Antritt des Elternurlaubs einen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber hat.
Diese Gesamtheit von Rechten und Vorteilen wäre nicht gewährleistet, wenn im Fall der Nichteinhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist bei einer Kündigung während eines Elternurlaubs auf Teilzeitbasis ein auf Vollzeitbasis angestellter Arbeitnehmer den Anspruch darauf verlöre, dass die ihm zustehende Entlassungsentschädigung auf der Grundlage seines arbeitsvertraglichen Gehalts bestimmt wird. Würden die Rechte aus einem Arbeitsverhältnis während des Elternurlaubs eingeschränkt, könnte dies Arbeitnehmer davon abhalten, einen solchen Urlaub zu nehmen, und Arbeitgeber dazu anhalten, bevorzugt diejenigen zu entlassen, die sich im Elternurlaub befinden.
EuGH, Urteil v. 22.10.2009, Rs.C-116/08
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