Was Sie von Willy Brandt als Redner lernen können
Willy Brandt ist ein treffendes Beispiel dafür, dass zum bedeutenden Redner noch anderes gehört als Beherrschung der rhetorischen Regeln. Diese ist sicherlich eine wichtige Voraussetzung, aber ganz sicher nicht alles.
Die Person Willy Brand
In die Zeit Willy Brandts als Regierender Bürgermeister Berlins fiel 1963 der Besuch von Präsident John F. Kennedy in West-Berlin. Bekannt wurde nicht nur Kennedys Rede mit dem berühmten Zitat „Ich bin ein Berliner“, sondern auch Brandts Begrüßungsrede vom 26. Juni an Kennedy: „Wir grüßen nicht nur das Amt, wir grüßen auch den Mann.“
Willy Brand (1913-1992) war ein außergewöhnlicher Politiker, der Deutschlands Entwicklung maßgeblich mitgeprägt hat. Von 1966 bis 1969 war er Bundesaußenminister und von 1969 bis 1974 vierter Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.
Für seine Ostpolitik, die auf Entspannung und Ausgleich mit den osteuropäischen Staaten ausgerichtet war, erhielt er am 10. Dezember 1971 den Friedensnobelpreis. Joachim Fest, früherer „FAZ“-Herausgeber, drückte es in einer Laudatio auf Willy Brandt einmal sehr treffend aus: „Immer wurde in allem, was er sagte, die ganze Person sichtbar, Erfahrungen von lange her, Zweifel, Irrtümer, errungene Einsichten, kurz, ein Leben mit allem, was es durchzustehen hatte.
Wenn sich im Gegeneinander der Meinungen die sachlichen Argumente erschöpft hatten, war dies das Gewicht, das oft den Ausschlag gab. Es ist auch der gewachsene Grund, aus dem jene Moralität kommt, die Willy Brandt inzwischen von allen Seiten zugestanden wird und die in der Verleihung des Friedens-Nobelpreises auch weltweit Anerkennung gefunden hat.“ Vom Redner Willy Brandt können wir auch heute noch Entscheidendes lernen:
1. Authentizität, Natürlichkeit, Glaubwürdigkeit
Willy Brandt ist, bis zum Außenseiterischen, immer er selber geblieben. Das hat ihm Respekt und Bewunderung, weit über das eigene Lager hinaus, verschafft. Denn es gibt gerade in der Politik, mehr als in sonstigen Lebensbereichen, einen großen Zwang zur Konformität, zur Verleugnung dessen, was den Einzelnen unverwechselbar macht.
Mit seiner Authentizität gewann er das Vertrauen der Menschen. Er war ein Mann, den in Ausübung seines Amtes Humor, Optimismus und liebenswürdige Menschlichkeit nie verlassen haben. „Er war kein Angeber, kein Schauspieler. Man glaubte ihm, dass er für das einstand, was er sagte.“ (Horst Ehmke)
2. Beeindruckende Formulierungsgabe
Willy Brandt besaß ein besonderes Sprachempfinden. Seine Reden waren frei von abstraktem Ballast und von den Geschwollenheiten, die damals angesichts der Akademisierung im politischen Milieu um sich griffen. Er vermied alle entnervenden Floskeln und Phrasen. Er formulierte Sätze, die in die Bücher eingegangen sind: Treffend, bildhaft und einprägsam, mit rrrrollendem Timbrrre und Reibeisenstimme vorgetragen.
So hat er zum Beispiel zur Ostpolitik die Formel gefunden: „Wir haben die antideutsche Karte aus dem Spiel genommen.“ Am berühmtesten: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“, ein Satz, den Willy Brandt schon am Tag nach der Maueröffnung formulierte. Oder, wenige Wochen später, beim Gründungsparteitag der SPD der DDR in Leipzig: „Der Zug zur Einheit rollt. Jetzt kommt es darauf an, dass niemand unter die Räder kommt.“
3. Meister der freien Rede
Willy Brandt hasste es, den von seinen Redeschreibern formulierten Text abzulesen. Er war der Meinung: „Man sollte, wo es darauf ankommt, sich in freier Rede äußern können. Das Gütezeichen öffentlicher Rede bleibt der ansprechende Vortrag eines nicht anspruchslosen Textes.“ Manche warfen ihm vor, er habe zu langsam und mit einer seltsam gepresst wirkenden Stimme gesprochen. Auch die Sprechpausen seien oft zu lang geraten, er rede zu bedächtig, würde die Gedanken erst im Sprechen artikulieren.
Aber solche Einwände verkennen wohl, worauf es dem Redner Willy Brandt immer ankam: nämlich etwas von den Schwierigkeiten anschaulich zu machen, die sich allem zuletzt einfach und überzeugend Klingenden in den Weg stellen. Das passt auch zu seiner Überzeugung, dass politischen Erfolg nur haben kann, wer es sich nicht leichter, sondern schwerer macht als andere, wie er noch in seiner Abschiedsrede als Parteivorsitzender im Juni 1987 äußerte. Die Vorbereitung seiner Reden nahm er sehr ernst: „An der Rede – so sie nicht aus dem Stand zu halten ist – muss gearbeitet, an wichtigen Sätzen gefeilt werden.“
4. Ausdrucksvolle Stimme
Durch die Art, wie wir sprechen, gestatten wir anderen Menschen tiefe Einblicke in unsere Persönlichkeit. Willy Brandt hatte eine sehr ausdrucksvolle Stimme: Dynamisch, eindringlich und äußerst modulationsfähig. Dadurch hat er es seinen Zuhörern leicht gemacht, ihm auch bei schwierigen Textpassagen zu folgen. Mit seiner Stimme erweckte er den Eindruck, voll hinter dem zu stehen, was er sagte. „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst.“ Das wusste Augustinus schon. Leider machte Willy Brandt oft den Fehler, beim Sprechen zu sehr auf den Kehlkopf zu pressen. Dadurch war er oft heiser.
5. Hart in der Sache, fair zu den Menschen
Natürlich konnte Willy Brandt, wenn es die Situation erforderte – zum Beispiel. beim Schlagabtausch mit Helmut Kohl – auch holzen. Meist aber hat man von ihm selbst in den Augenblicken, da er ein gesetztes Ziel erreicht hatte, keine lauten Töne gehört, keine gewollte Härte, kein rechthaberisches Triumphgeschrei. Auch da, wo er politische Gegner zuweilen ironisch-sarkastisch angreift, sind seine Reaktionen nie ganz ohne menschliche Wärme. Durch diesen Wesenszug gelang es ihm, Teile der jungen Generation an die Politik heranzuführen. In der Sprache, die er sprach, den Zielen, zu denen er sich bekannte, sahen sie eine Verbindung von Autorität und Menschlichkeit, die sie im Politischen zu der Zeit oft vermissten.
6. Psychologisches Feingefühl im Umgang mit Massen
Willy Brandt war auch zu großen, beschwörenden Auftritten in der Manier des Volkstribuns fähig. Er konnte Menschen begeistern und auf ein Ziel einschwören. Es war im November 1956 nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands, als sich eine aufgebrachte Menge vor dem Schöneberger Rathaus versammelte, um zu einer Demonstration nach Ostberlin zu ziehen.
Willy Brandt sprach beruhigend auf sie ein. Mit immer heiserer werdender Stimme wiederholte er seine beschwichtigenden Appelle bei den Demonstranten, die schon voller Zorn und Empörung auf dem Wege und nahe dem Brandenburger Tor waren, vom Dach eines Polizeiwagens aus so lange, bis die Menge Vernunft annahm und nach Hause zog. Das war ein Meisterstück abwiegelnder Rhetorik.
7. Umgang mit Emotionen
Wie Willy Brandt Emotionen dämpfen konnte, hat er wie kein anderer Politiker es verstanden, Emotionen zu zeigen und auch zu wecken. Nach dem Mauerbau, diesem „Anschlag auf die Moral des deutschen Volkes“, wie er ihn nannte, hämmerte er kalt seine Wut heraus. Am 7. Dezember 1970 ging ein Bild um die ganze Welt: Brandt kniete in Warschau am Denkmal für die Opfer des jüdischen Ghettoaufstands nieder. Mit dieser ungewöhnlichen Geste der Ehrung und stummen Abbitte erregte Brandt weltweit großes Aufsehen – insbesondere, da er selbst Verfolgter des NS-Regimes war. Mit solchen Gesten hat er große Anhängerschaften mobilisiert und Anfang der siebziger Jahre eine Aufbruchstimmung erzeugt wie seitdem kein anderer Politiker mehr.
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