Organisatorische Fit-Analyse
Die organisatorische Fit-Analyse ist ein Strategieinstrument, das untersucht, inwiefern die Organisationsstruktur eines Unternehmens die verfolgte Strategie ausreichend unterstützt.
Definition und Grundlagen
Die organisatorische Fit-Analyse dient der strategieorientierten Optimierung der Organisationsstruktur. Es handelt sich hierbei um ein Mittel zur Identifizierung und Überwindung einer eventuellen Kluft zwischen der aus strategischer Sicht erforderlichen Soll-Organisation und dem organisatorischen Status quo.
Dementsprechend ist dieses Instrument immer dann von Bedeutung, wenn die Konsistenz von Strategie und Organisation überprüft werden soll. Typischer weise wird die Fit-Analyse bei einer Veränderung der strategischen Rahmenbedingungen genutzt z. B. in der Folge einer strategischen Repositionierung oder auf Grund einer Fusion. Dabei kann sich der Einsatz der Fit-Analyse sowohl auf die Untersuchung einzelner Unternehmensbereiche wie Beschaffung, Produktion oder Absatz als auch auf das Gesamtunternehmen beziehen.
Im Rahmen der organisatorischen Fit-Analyse wird in folgenden 5 unterschiedlichen Schritten vorgegangen:
- Ermittlung des organisatorischen Soll- Profils
- Analyse des Status quo
- Fit Bewertung
- Konzeption der strategiekonformen Struktur
- Auswahlentscheidung
Ermittlung des organisatorischen Soll-Profils
Zur Bestimmung einer strategiekonformen Organisationsstruktur sind zunächst die organisatorischen Implikationen der Strategie zu identifizieren. Hierzu sind aus den strategischen Grundsatzentscheidungen die erfolgsrelevanten Anforderungen an die Organisationsstruktur abzuleiten. Derartige organisatorische Ziele können sich auf verschiedene Aspekte der Organisationsstruktur beziehen (z. B. Auftreten am Markt, Bewältigung von Leistungsprozessen, Ressourcenbedarf, Steuerbarkeit des Unternehmens). Zur Systematisierung der unter schiedlichen Zielgrößen ist die Unterscheidung verschiedener Effizienzkriterien zweckmäßig.
Markteffizienz
Die Markteffizienz betrifft das Auftreten des Unternehmens auf dem Beschaffungs- und dem Absatzmarkt. Relevant ist hier, inwiefern ein Unternehmen durch ein abgestimmtes Verhalten Poolungsvorteile nutzen bzw. das vorhandene Marktpotenzial durch ein produktübergreifend konsistentes Auftreten aus schöpfen kann (beispielsweise Realisierung von Mengenrabatten, Erleichterung von Cross-Selling-Er lösen bzw. Vermeidung von Substitutionseffekten).
Prozesseffizienz
Die Prozesseffizienz unter sucht, inwiefern mit einer bestimmten Organisationsstruktur vorgegebene Prozessziele erreicht werden können (z. B. definierte Durchlaufzeiten).
Ressourceneffizienz
Gegenstand der Ressourceneffizienz ist der Ressourcenbedarf einer organisatorischen Lösung. Beleuchtet werden etwa der Auslastungsgrad des Personals und der Sachmittel sowie die Möglichkeit, Doppelarbeiten zu vermeiden.
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Führungseffizienz
Die Führungseffizienz thematisiert die Steuerbarkeit des Unternehmens aus der Perspektive der Unternehmens-/Bereichsleitung. Zu betrachten ist hier, wie intensiv Leitungseinheiten in das Tagesgeschäft ein gebunden sind und wie einfach und schnell strategische Entscheidungen im Unternehmen umgesetzt werden können.
Einen Überblick über die Effizienzkriterien sowie besonders relevante Effizienzindikatoren gibt Ihnen die folgende Abbildung:
Nicht alle Effizienzkriterien und -indikatoren sind in jeder Situation von gleicher Bedeutung; vielmehr variiert ihre Relevanz in Abhängigkeit von dem konkreten Analyse-Anlass (Fit-Analyse für das Gesamtunternehmen oder einzelne Teilbereiche) sowie von den strategischen Rahmenbedingungen.
Zur Bestimmung eines tragfähigen organisatorischen Anforderungsprofils müssen daher drei Festlegungen getroffen werden:
- Gewichtung der Effizienzkriterien
- Ermittlung der relevanten Effizienzindikatoren
- Festlegung des erforderlichen Zielerreichungsgrades
Als Ergebnis der Ableitung des organisatorischen Soll-Profils existiert ein detaillierter Zielkatalog, aus dem die aus strategischer Sicht relevanten Effizienzindikatoren sowie der jeweils an zu strebende Zielerreichungsgrad hervorgehen. Hieran ist die gegenwärtig implementierte Organisationsstruktur zu messen.
Analyse des Status quo
Dem organisatorischen Soll-Profil ist das organisatorische Ist-Profil gegenüber zu stellen. Hierzu wird die gegenwärtige Organisationsstruktur erfasst und bewertet.
Über die Analyse vorhandener Organigramme und Stellenbeschreibungen kann die bestehende Organisationsstruktur mit der offiziellen Aufgaben- und Kompetenzverteilung abgebildet werden. Daneben dienen Interviews, Fragebogenerhebungen, Prozessanalysen und Multimomentstudien (Beobachtung in zeitlichen Intervallen) dazu, neben der offiziellen auch die „tatsächliche“ Organisationsstruktur des Unternehmens zu ermitteln.
Auf diese Weise wird ein umfassendes Bild von der Funktionsweise der aktuellen Struktur gezeichnet. Nach der Erhebung der gegenwärtigen Organisationsstruktur ist diese hinsichtlich der strategisch relevanten Effizienzindikatoren zu bewerten.
Diese Beurteilung erfolgt unter Rückgriff auf verschiedene Informationsquellen. Neben unternehmensinternen Gesprächen und Fragebogenerhebungen können auch Kundenbefragungen einen Input zur Beurteilung des Status quo darstellen.
Externe Befragungen sind besonders aufschlussreich, da Kunden Aussagen über die relevanten Anforderungen an die Organisationsstrukturen formulieren und die Leistungsfähigkeit der gegenwärtigen Organisation im Vergleich zur Konkurrenz beurteilen können. Die Ergebnisse der verschiedenen Informationsquellen werden zu einer Kennzahl zusammen gefasst, die den Zielerreichungsgrad der gegenwärtigen Organisationsstruktur ausdrückt.
Fit Bewertung
Um Ihnen die Fit-Bewertung anschaulich erklären zu können, möchten wir Sie bitten, zunächst die Abbildung „Organisatorisches Anforderungsprofil“ herunterzuladen und auszudrucken. Die Abbildung ist für das Verstehen des Lernabschnitts „Fit-Bewertung“ erforderlich.
Bei der organisatorischen Fit-Bewertung wird durch den Vergleich des strategiekonformen Soll-Profils mit dem festgestellten organisatorischen Ist-Profil ein möglicher Handlungsbedarf identifiziert.
Die zuvor von Ihnen ausgedruckte Abbildung „organisatorisches Anforderungsprofil“ zeigt beispielhaft das Ergebnis einer organisatorischen Fit-Bewertung. Dabei wird von einem Mehrproduktunternehmen ausgegangen, das in der Vergangenheit eine einzelproduktorientierte Profilierungsstrategie verfolgt hat. Im Rahmen einer strategischen Repositionierung wurde diese Strategie zugunsten einer Cross-Selling-Strategie aufgegeben. In organisatorischer Hinsicht ist das Unternehmen durch einen produktorientiert gegliederten Vertrieb und einen separaten technischen Servicebereich gekennzeichnet.
Die Bedeutung, die die Organisatoren in Abhängigkeit von der verfolgten Strategie den verschiedenen Effizienzindikatoren beigemessen haben, ist in der linken Spalte zu erkennen. Zur Umsetzung der einzelproduktbezogenen Profilierungsstrategie wurden in der Vergangenheit eine kompetente, produktbezogen ausgerichtete Kundenberatung (Markteffizienz), kurze Reaktionszeiten, eine hohe Flexibilität bei geänderten Kundenwünschen sowie kurze Durchlaufzeiten (Prozesseffizienz) als besonders relevante Effizienzindikatoren angesehen. Als Folge der strategischen Repositionierung ergab sich ein geändertes organisatorisches Anforderungsprofil:
Zur Umsetzung der neuen Strategie wird einer umfassenden, produktübergreifenden Kundenberatung eine große Bedeutung bei gemessen, die von Außendienstmitarbeitern ein breiteres und auch tieferes Produkt- und Kunden-Know-how fordert. Daneben soll sichergestellt werden, dass alle Einheiten mit Kundenkontakt geschlossen beim Kunden auftreten und den Kunden einheitlich zugunsten eines Erweiterungs- bzw. Ergänzungskaufes beraten.
Im Bereich der Markteffizienz wird damit nun den Indikatoren „breites und tiefes Produkt- und Kunden-Know-how“ sowie „produktübergreifend abgestimmte Marktbearbeitung“ eine größere Bedeutung bei gemessen als in der Vergangenheit. Als Reaktion auf die gestiegene Leistungsfähigkeit der Wettbewerber erhalten im Rahmen der neuen Strategie daneben auch die Effizienzindikatoren „kurze Reaktionszeit“, „hohe Flexibilität“, „kurze Durchlaufzeiten“ sowie die Indikatoren der Ressourceneffizienz (Infrastruktur- und Personal kosten sowie Vermeidung von Doppelarbeit) eine noch größere Relevanz.
Der aus strategischer Sicht notwendige sowie der tatsächliche Zielerreichungsgrad sind der rechten Spalte zu entnehmen. In den als strategisch kritisch erachteten Zielgrößen wird durchweg ein hoher Zielerreichungsgrad gefordert. Demgegenüber weist die etablierte Struktur bei den relevanten Effizienzindikatoren nur eine unzureichende Zielerfüllung auf.
Die Außendienstmitarbeiter verfügen als Produktspezialisten über kein aus reichendes Produktsystem- und Kunden-Know-how; die in einem eigenen Bereich arbeitenden Mitarbeiter des technischen Service sind über die Ziele des Vertriebs nicht informiert. Neben diesen Defiziten bei der Markteffizienz wird auch die Leistungsfähigkeit der gegenwärtigen Struktur hinsichtlich der Prozess- und Ressourceneffizienz als gering eingestuft, da die erstrebenswert angesehenen Zeit- und Kostenziele im Rahmen der etablierten Struktur nicht realisiert werden können. Über diese Defizite bestimmt sich ein Reorganisationsbedarf, der grafisch in Gestalt einer Fläche visualisiert wird.
Konzeption der strategiekonformen Struktur
Ist ein organisatorischer Änderungsbedarf identifiziert, beginnt mit Blick auf die als kritisch identifizierten Effizienzindikatoren die Suche nach Verbesserungspotenzialen. In dieser Phase gewinnen neben eigenen Analysen und den Ergebnissen des Benchmarking auch Kreativitätstechnike an Bedeutung.
Ausgehend von den Zielvorstellungen werden Möglichkeiten zusammen getragen, die aus Erfahrung, logischer Einsicht und aufgrund von Ergebnissen der empirischen Organisationsforschung als Ansatzpunkte zur Lösung der identifizierten Schwachstellen infrage kommen.
Letztlich sind bei der Konzeption der strategiekonformen Struktur 2 Vorgehensweisen zu unterscheiden:
1. Empirischen Vorgehensweise
Bei der empirischen Vorgehensweise wird der Status quo zum Ausgangs punkt der Überlegungen gewählt: Es wird untersucht, mittels welcher Veränderungen die gegenwärtig implementierte Struktur so gestaltet werden kann, dass bei den strategisch relevanten Effizienzindikatoren ein höherer Zielerreichungsgrad erzielt wird. Diese Vorgehensweise wird immer dann gewählt, wenn im Rahmen der Fit-Analyse ein Veränderungsbedarf begrenzten Ausmaßes identifiziert wurde.
2. Konzeptionellen Vorgehensweise
Bei einer konzeptionellen Vorgehensweise wird die strategiekonforme Organisationsstruktur unter vollständiger Abstraktion von der etablierten Lösung entworfen. Ein derartiger Ansatz wird immer dann gewählt, wenn zur Bewältigung der strategischen Anforderungen eine partielle Überarbeitung der bisherigen Lösung nicht ausreicht und die Entwicklung innovativer Ideen frei von bisherigen Strukturen, Abläufen und Personen erfolgen sollte.
Beide Vorgehensweisen haben jeweils spezifische Vor- und Nachteile: Der empirische Ansatz erlaubt eher die Identifikation reibungslos implementierbarer Lösungen; er ist außerdem mit einem geringeren Risiko und einem geringeren Zeitbedarf verbunden. Die konzeptionelle Vorgehensweise bietet hin gegen günstige Voraussetzungen für die Generierung wirklich innovativer organisatorischer Lösungen.
Auswahlentscheidung
Die als grundsätzlich geeignet eingestuften Maßnahmen werden schließlich im letzten Schritt einer detaillierten Bewertung unterzogen. Hierzu werden zweckmäßigerweise Scoring-Modelle herangezogen, mit deren Hilfe die Alternativen hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit bei den relevanten Effizienzindikatoren beurteilt werden. Letztlich wird die organisatorische Lösung ausgewählt, die mit Blick auf die als strategisch relevant angesehenen Zielgrößen den höchsten Zielerreichungsgrad aufweist. Durch die Umsetzung dieser Auswahlentscheidung wird die Konsistenz zwischen Strategie und Struktur hergestellt.
Quelle: Hermann Simon, Andreas von der Gathen – Das große Handbuch der Strategieinstrumente, ISBN: 3593369931
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